2021 – nac.today: Die Sakramente

Es gibt Augenblicke im Glaubensleben, wo sich Himmel und Erde berühren. Und die sind so wichtig, dass sie einen eigenen Namen haben: Sakramente. Was bedeuten sie? Woher kommen sie? Was bringen sie?

"Um in Gemeinschaft mit Christus zu sein und ewiges Leben zu erlangen, müssen wir aus Wasser und Geist wiedergeboren sein, aber auch den Leib Christi essen und sein Blut trinken - das ist keine Erfindung der Neuapostolischen Kirche. Wenn du ewiges Leben haben willst, brauchst du die Sakramente." (Stammapostel Schneider am 9. Januar 2022)

01  –  Wenn Gottes Liebe Zeichen setzt
02  –  Ein Bauplan, vier Ecksteine
03  –  Der doppelt mysteriöse Ursprung
04  –  Zeichensprache fürs Unsichtbare
05  –  Erst gültig und dann wirksam
06  –  Was zählt, ist Glaubenssache
07  –  Im Namen Gottes oder der Kirche?
08  –  Auf jeden Fall mit Wasser
09  –  Das tödliche Wort für Taufe
10  –  Taufe - ein Ritus im Fluss
11  –  Die Taufe in fünf Dimensionen
12  –  Mit allen Wassern getauft
13  –  "Lasset die Kinder zu mir kommen"?
14  –  Zwischen Tauchen und Tropfen
15  –  Mit der Taufe auf Wanderschaft
16  –  Der Weg in die Taufgemeinschaft
17  –  Unterschiede schwarz auf weiß
18  –  Die ganze Taufe in acht Sätzen
19  –  Esst und trinkt - wenn Christus in die Gemeinde kommt
20  –  Zu reichhaltig für ein einzelnes Wort
  
21  –  Mit Jesus und den Jüngern zu Tisch
22  –  Weich oder hart - die Zeitfrage
23  –  Tisch des Herrn - reicht gedeckt
24  –  Vom letzten zum heiligen Mahl
25  –  Sein und Da-Sein
26  –  Der Wandel im Wesentlichen
27  –  (K)ein hartes Brot?
28  –  Was die Kirchen einschenken
29  –  Der Kampf um den Kelch
30  –  Abendmahl in beiderlei Gestalt
31  –  Der Ablauf nach Speiseplan
32  –  Tischsitten bei Brot und Wein
33  –  "Zu Tisch!" - die Mahl-Zeiten
34  –  Botschafter göttlicher Initiative
35  –  Wer darf wo an den Tisch?
36  –  Sprung über den Kirchenzaun?
37  –  Abendmahl in vier Dimensionen
38  –  Viel mehr als eine "Quittung"
39  –  Für wen vergossen?
40  –  Zwanzig Gänge in Info-Häppchen
  
41  –  Die Heilige Versiegelung - typisch neuapostolisch?
42  –  Der Geist in Reichweite
43  –  Mehr als eine Taufe?
44  –  Der Taufe zweiter Teil
45  –  Eine Taufe, zwei Sakramente
46  –  Die andere Zweiteilung
47  –  Der kanalisierte Geist
48  –  Der doppelte Geist
49  –  Zwischen Wasser und Geist
50  –  Die zweigliedrige Taufe
51  –  Zwei Handvoll Geistesgabe
52  –  Nicht nur hier - auch dort!
53  –  Unterwegs zur Unsterblichkeit
54  –  Chancen jenseits des Lebens
55  –  Gottes grenzenlose Liebe
56  –  Wie der Abstieg aufstieg
57  –  Als Stellvertreter zur Taufe
58  –  Weil Leichen nicht essen
59  –  Für Entschlafene unter Apostelhand
60  –  Eine Ordnung für das Jenseits
  
61  –  Dreimal im Jahr für alle
62  –  Der Kraftakt für die Toten
63  –  Alles andere als Totenbefragung
64  –  Wo Gottes Liebe durchbricht
65  –  Wie auf Erden, so auf Erden
66  –  Hier und Dort im guten Dutzend
67  –  Hinter jedem Satz eine Geschichte

(1): Wenn Gottes Liebe Zeichen setzt

Es gibt Augenblicke im Glaubensleben, wo sich Himmel und Erde berühren. Und die sind so wichtig, dass sie einen eigenen Namen haben: Sakramente. Was bedeuten sie? Woher kommen sie? Was bringen sie? – Der Auftakt zu einer neuen Serie.

Wenn Braut und Bräutigam sich gegenseitig die Ringe überstreifen, dann ist das mehr als ein Symbol. Dann ist das ein Versprechen. Und ihre Liebe wird sichtbar. – Wenn eine Mutter dem Kind ein Essen bereitet, dann ist das mehr als eine Mahlzeit. Dann ist das gelebte Zuwendung. Und wieder wird Liebe sichtbar.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Liebe Gottes zu den Menschen.

Wie Gott sich offenbart

Sein Wesen zeigt Gott auf unterschiedlichste Weise. Dazu gehört zuerst einmal die natürliche Schöpfung. Die kann jeder sehen, auch wenn nicht jeder darin den Schöpfer erkennt.

Seinen Willen offenbart er auch in der Menschheitsgeschichte: etwa durch seine Boten und Propheten gegenüber dem Volk Israel, mehr als jemals zuvor aber in der Menschwerdung seines Sohnes gegenüber aller Welt. Davon berichtet die Heilige Schrift im Alten beziehungsweise Neuen Testament.

Und schließlich begegnet Gott den Menschen – seit der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten – in der Kirche Christi. In der Verkündigung des Evangeliums offenbart ich sein Wille. Und sein Wesen lässt sich in den Sakramenten erkennen: In diesen heiligen Handlungen wird die Liebe Gottes sichtbar.

Wie die Kirchen zählen

Allerdings: Welche Sakramente überhaupt? Die Katholische Kirche kennt derer sieben – ebenso wie die orthodoxen Kirchen. Die evangelische Kirchen zählt lediglich zwei Sakramente, die Neuapostolische Kirche hingegen drei. Und manche Freikirchen verzichten ganz auf den Begriff, denn sie sehen darin nicht mehr als symbolische Handlungen.

Woher kommen diese Unterschiede? Und wie sind sie begründet? Diese und viele weitere Fragen beantwortet eine neue Serie von nac.today in den kommenden Monaten. Und die verspricht so manche Einblicke.

Wie die Bibel den Grund legt

Allem anderen voran: Das Wort "Sakrament" lässt sich in der Bibel so gar nicht finden. Nur das griechische "mysterion", das im Lateinischen mit "sacramentum" übersetzt wird. Doch das "Geheimnis" hat in der Heiligen Schrift mit sakramentalen Handlungen erstmal nichts zu tun.

Erst im Laufe der Kirchengeschichte entwickelt sich der lateinische "Eid" zum sichtbaren Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit göttlichen Heils. Und diese Geschichte bekommt mit der Reformation noch mal eine drastische Wendung.

Dennoch haben die grundlegenden Handlungen ihren guten biblischen Grund. Das geht die Serie für die drei Sakramente des neuapostolischen Bekenntnisses detailliert durch: die Heilige Wassertaufe, das Heilige Abendmahl und die Heilige Versiegelung. Und daraus ergibt sich dann, was in den jeweiligen Handlungen sichtbar wird und wie sich das auf den Menschen auswirkt.

Wie Formen sich wandeln

Viel Spielraum finden die Kirchen bei den Formen der Heilszeichen: Während die einen den Täufling nur mit Wasser benetzen, tauchen die anderen ihn ganz unter. Während die einen auch Kinder taufen, lassen die anderen nur Erwachsene zu.

Und beim Abendmahl bieten die Elemente noch mehr Variationsmöglichkeiten: Sauerteig oder ungesäuertes Brot? Rotwein oder Weißwein? Oder gleich Brot und Wein in Form einer beträufelten Hostie?

Nichts davon passiert ohne Grund. Das alles kennenzulernen, das macht die neue Serie zu einer Entdeckungsreise durch die Vielfalt göttlicher Liebeszeichen.

(2): Ein Bauplan, vier Ecksteine

Sakramente – wofür braucht es das? Glauben geht doch auch ohne, oder? Antwort darauf gibt Jesus Christus selbst. Doch wie funktionieren sie eigentlich – diese Türen auf dem Weg zur Gottesnähe?

Über das Gesicht huscht ein Lächeln. Das ist zunächst mal ein Zeichen für Freude, doch gleichzeitig ist es weit mehr als eine bloße Symbolhandlung. Denn das Lächeln vermittelt die Freude und macht die Freude sogar spür- und erlebbar. Ähnlich verhält es sich mit den Sakramenten. Nur, dass noch viel mehr dahintersteckt.

Denn: Sakramente sind notwendig, um Heil in Jesus Christus zu erlangen. Das hat der Gottessohn selbst deutlich gemacht: Wer nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Geist, der kann nicht ins Reich Gottes kommen (Johannes 3,3-5). Und nur wer sein Leib und Blut zu sich nimmt, der hat ewiges Leben (Johannes 6,54).

Gott handelt zum Heil

"Sakramente sind grundlegende Gnadenmitteilungen Gottes", erläutert der Katechismus der Neuapostolischen Kirche (KNK, Kapitel 8). "Es sind heilige Handlungen, die am Menschen vollzogen werden, damit er das Heil erlangt." So schenkt Gott in der Taufe seine Nähe und im Abendmahl Anteil an sich selbst. Der Empfang aller Sakramente eröffnet den Gläubigen den Weg dazu, bei der Wiederkunft Christi mit dem Herrn vereint zu werden.

Jedes Sakrament wurzelt in Wort und Wirken Jesu Christi sowie in der Sendung des Heiligen Geistes. Deshalb sprechen Theologen auch von dem Gottessohn als dem "Ursakrament" und von der durch ihn gestifteten Kirche als dem "Wurzelsakrament".

Unsichtbares offenbart sich

Alle Sakramente folgen einem gemeinsamen Bauplan mit den vier Ecksteinen Zeichen, Inhalt, Spender und Glaube:

Dabei spiegelt das Sakrament – ähnlich wie die Kirche Christ – die Doppelnatur Jesu Christi. Das sichtbare Zeichen, die menschliche Seite, und der unsichtbare Inhalt, die göttliche Seite, verbinden sich im Weihewort miteinander. Am deutlichsten wird das beim Heiligen Abendmahl: Das sichtbare Zeichen sind Brot und Wein in Form der Hostie. Durch die Aussonderungsworte tritt das unsichtbare Wesen von Leib und Blut Christi hinzu. Es entsteht eine Einheit. Jesus ist wahrhaft gegenwärtig.

Wirkung braucht Glauben

"Die Gültigkeit der Sakramente hängt nicht mit ihrer Deutung zusammen oder mit dem Verständnis, das man von ihnen hat, sondern allein mit den vier oben genannten Größen", betont der KNK. Selbst Unglaube kann das Sakrament nicht mehr ungültig machen. "Denn was Gott tut, kann der ungläubige Empfänger nicht aufheben."

Allerdings sind Sakramente kein quasi-magischen Rituale, die ganz automatisch ihre Wirkung entfalten würden. Der Glaube des empfangenden Menschen ist die Voraussetzung dafür, dass das Sakrament seine Heilswirkung entfalten kann. Es wirkt zum Segen ab dem Moment, indem der Empfänger zum Glauben kommt.

Sakramente sind keine Erfindung der Neuapostolischen Kirche. Die Lehre davon blickt auf 2000 Jahre christlicher Geschichte zurück und kennt viele interkonfessionelle Gemeinsamkeiten. Allerdings: In der Bibel taucht das Wort so nicht auf – mehr darüber in der kommenden Folge dieser Serie.

(3): Der doppelt mysteriöse Ursprung

Sakrament und Bibel, das ist so eine Sache: Die Idee ist da, aber nicht das Wort. Das ist erst später in die christliche Sprache eingewandert – und braucht dafür sogar zwei Versuche: eine Geschichte von Bedeutung(en).

Karthago, Nordafrika, zweites Jahrhundert: Ausgerechnet hier, und nicht beim großen Konkurrenten Rom, startet das Latein seine Karriere als Kirchensprache. Hier entsteht das älteste christliche Dokument in dieser Sprache, die "Akten der Scilitanischen Märtyrer". Und hier gehen auch die Bibelübersetzer ans Werk.

Warum das wichtig ist? Weil das Wort "Sakrament" aus dem Lateinischen stammt. Und weil die Geschichte seiner Verwendung und Übersetzung viel darüber zu erzählen hat, was der Begriff auch heute noch bedeutet.

Erkenntnis nur für Eingeweihte

"mysterion" ist das griechische Wort, das den lateinischen Bibelübersetzern im Neuen Testament zu schaffen macht. Den Begriff kennen die Zeitgenossen aus zwei Zusammenhängen:

Offenbarung in Vollkommenheit

Im letzteren Sinne findet sich das Wort auch in der "Septuaginta", der maßgeblichen Übersetzung der jüdischen Bibel ins Griechische: etwa im Buch "Daniel", wo es um die Offenbarung des göttlichen Ratschlusses gegenüber Auserwählten geht.

Diesem alttestamentlichen Verständnis geben die Autoren des Neuen Testaments, allen voran Apostel Paulus, einen neuen Dreh: Die geschichtliche Verwirklichung göttlicher Heilsgeheimnisse findet in Jesus ihre höchste Form. Das kann aber nur der Gläubige erkennen.

Dieses "mysterion" versuchen die Karthager mit dem lateinischen "sacramentum" zu übersetzen. Doch der afrikanische Text kann sich nicht so ganz durchsetzen. Die Itala, die nächste Generation an Übersetzungen, und erst recht die am Ende dominierende Vulgata nutzen vorzugsweise das latinisierte "mysterium".

Der Fahneneid als Brücke

Dass "sacramentum" dennoch zur christlichen Vokabel wird, liegt an Tertullian, dem ersten lateinischen Kirchenschriftsteller. Das Wort bezeichnet ursprünglich sowohl den Eid von Soldaten und Beamten auf ihren als göttlich verehrten Kaiser als auch die bei Gericht hinterlegte Kaution, die im Zweifelsfall an einen Tempel und dessen Priester fällt.

Im Fahneneid sieht Tertullian, der Soldatensohn und ausgebildete Jurist, eine Parallele zum Taufgelöbnis. Schließlich verpflichtet sich der Gläubige dabei, in den Dienst seines Herrn Jesus Christus zu treten. So bezeichnet der Karthager erst das Taufgelöbnis und später die komplette Taufe als "sacramentum". Und am Ende packt er auch das Abendmahl unter diesen Oberbegriff.

Ein Wort, zwei Bedeutungen

So erklärt sich, warum "Sakrament" heutzutage zwei Bedeutungen hat:

Eine umfassende Lehre zum Sakrament entfaltet der Vater des christlichen Begriffes allerdings nicht. Diesen Kraftakt leistet rund 200 Jahre später ein anderer Nordafrikaner. Darum geht's im nächsten Teil dieser Serie.

(4): Zeichensprache fürs Unsichtbare

Sakrament ohne "signum" und ohne "res"? Das geht gar nicht. So steht es zumindest im neuapostolischen Katechismus. Klingt seltsam? Vielleicht, hat aber gute Gründe – ein Ausflug ins fünfte Jahrhundert.

Ja sicher, die Taufe und das Abendmahl sind in der Bibel gut verbürgt. Doch der Begriff "Sakrament" selbst taucht dort nicht auf. Das Wort kam unter Christen erst in Gebrauch, als das juristische "sacramentum" und das biblische "mysterion" miteinander verschmolzen.

Dafür sorgte Tertullian, der erste lateinischen Kirchenschriftsteller eingangs des dritten Jahrhunderts. Eine durchdachte Lehre vom Sakrament verfasste er nicht. Das übernahm fast 200 Jahre später Augustinus, der als einflussreichster der lateinischen Kirchenväter gilt.

Für sich oder anderes

Grundlage seiner Sakramentenlehre ist eine allgemeine Zeichenlehre. Sie unterscheidet grundsätzlich zwischen Sache ("res") und Zeichen ("signum"). Eine Sache steht nur für sich selbst: Ein Stück Holz ist ein Stück Holz, ein Tier ist ein Tier und ein Stein ist ein Stein.

Zeichen hingegen verweisen auf etwas anderes als sich selbst. Diese Eigenschaft macht auch Sachen zu Zeichen. Als Beispiele nennt Augustinus das Holz, das Mose ins Bitterwasser warf, das Tier, das Abraham anstatt Isaaks opferte, oder den Stein, auf den Jakob sein Haupt legte.

Eine Frage der Absicht

Zeichen unterteilt er nochmal in "natürlich" und "gegeben". Natürliche Zeichen verweisen ohne eine bewusste Absicht auf eine Sache, etwa so, wie der Rauch ein Feuer anzeigt. Gegebene Zeichen folgen dagegen einer Absicht, etwas zur Kenntnis zu geben.

Die reinste Form von Zeichen ist für den Kirchenlehrer das "Wort". Denn einziger Zweck des Wortes ist es, etwas anderes als sich selbst zu bezeichnen.

Das Wort macht's

Und so versteht Augustinus dann auch die Sakramente: als bewusst gegebene Zeichen, die eine unsichtbare göttliche Wirklichkeit ("res divinae") sichtbar machen. Sie sind für ihn mehr als ein Symbol. Denn sie bewirken genau das, was sie anzeigen. So stellt die Taufe den neuen Bund mit Gott nicht bloß dar, sondern begründet ihn auch.

Ein Sakrament funktioniert nicht einfach so: Eine Handlung mit dem Element Wasser macht noch keine Taufe. Dazu braucht es währenddessen noch das Wort aus dem Glauben, das die Bedeutung des Geschehens erschließt.

Die Bibel als Beleg

Natürliche Sache plus konkrete Handlung ist gleich geistliche Kraft: Das ist die Formel von Augustinus fürs Sakrament. Und genau dieses Konzept findet sich im Neuen Testament – etwa wenn Apostel Paulus fragt: "Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?" (1. Korinther 10,16).

Und die Wirksamkeit des Wortes findet der Kirchenlehrer bei Christus selbst, zum Beispiel, wenn Jesus in seinen Abschiedsreden zu den Jüngern sagt: "Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe" (Johannes 15,3).

Die Sakramentenlehre von Augustinus ist so grundlegend, dass sich erst nach Jahrhunderten wieder jemand an das Thema traut. Doch irgendwann kommt es zum Streit: Es geht um die die Frage, was ein Sakrament gültig macht, und wie viele es davon überhaupt gibt. Darum drehen sich die nächsten beiden Folgen dieser Serie.

(5): Erst gültig und dann wirksam

Angenommen, ein Priester erweist sich als unwürdig und verliert sein Amt: Sind dann die Taufen, die er durchgeführt hat, noch gültig? – Die Frage nach der Wirksamkeit von Sakramenten kennt ganz unterschiedliche Antworten.

"Ex opere operator", so heißt die Devise der Katholischen Kirche. Demnach wirkt das Sakrament "kraft der vollzogenen Handlung". Beim befugten Spender braucht es in dem Augenblick der Durchführung nicht mehr als die Absicht, das umzusetzen, was die Kirche als Wille Gottes erkennt.

Diese Auffassung entstand im späten Mittelalter und war eine der wenigen Neuerungen, seitdem Kirchenvater Augustinus ein gutes halbes Jahrtausend zuvor die Sakramentenlehre begründet hatte. Zum hochoffiziellen Lehrsatz stieg die Aussage jedoch erst 1547 auf – im Streit mit den Reformatoren.

Wider den Automatismus

"Sola fide" (allein der Glauben), so lautete der Kampfruf, den Martin Luther und seine Mitstreiter der katholischen Formel entgegensetzten. Sie lebten in Zeiten, wo kirchliche Gnadenakte per Ablasshandel käuflich waren. Und sie erlebten die Abendmahlsfeiern in einer Weise, die die Weiheworte "hoc est corpus meuns" zum sprichwörtlichen "Hokuspokus" machten.

So hatten die Reformatoren mächtig Probleme mit dem Gedanken, dass die korrekte Handlung quasi automatisch Heil bewirkt. "Nicht das Sakrament, sondern der Glaube des Sakramentes ist es, der rechtfertigt", wetterte Luther gegen die "gottlose und verderbliche Vorstellung." Der Glaube des Empfangenden sei es, der das Sakrament wirken lasse.

Wo es am Menschen hängt

Heute, ein gutes halbes Jahrtausend später, wissen die Theologen, dass die Vorstellungen damals gar nicht so weit auseinander lagen:

Auch aus evangelischer Sicht ist die Wirksamkeit des Sakraments unabhängig von der Würdigkeit des Spenders. "Denn es ist nicht gegründet auf Menschen Heiligkeit, sondern auf Gottes Wort", formulierte schon Luther.

Und auch aus katholischer Perspektive kann die Handlung ohne eine entsprechende Einstellung des Empfängers nicht richtig wirken: "Disposition" nennen die Fachleute diese Voraussetzungen.

Der Handelnde ist Gott

Vor diesem Hintergrund unterscheidet die Neuapostolische Kirche zwischen Gültigkeit und Wirksamkeit:

Selbst Unglaube nimmt den Sakramenten nicht die Gültigkeit. "Denn was Gott tut, kann der ungläubige Empfänger nicht aufheben." Allerdings fehlt es dann an Wirksamkeit. Oder kurz gesagt: Das Sakrament kommt im korrekten Ritus immer zustande, allerdings entfaltet es seine Wirksamkeit durch den Glauben.

(6): Was zählt, ist Glaubenssache

Sieben, drei oder zwei: Wie viele Sakramente gibt es eigentlich? Darin sind sich die christlichen Konfessionen teilweise nicht mal mit sich selbst einig. Doch es gibt eine Schnittmenge, die alle anerkennen – fast alle.

"Nur ein einziges Sakrament kennt die Heilige Schrift, das ist Christus der Herr selbst." – Mit dieser Zuspitzung landete Protestant Luther so ziemlich genau da, wo Erzkatholik Augustinus schon ein rundes Jahrtausend zuvor war: bei Jesus als Ur-Sakrament. Doch ansonsten lag er mit der vorherrschenden Lehre vom Sakrament ziemlich überkreuz.

Zwischen "minorem" und "maiorem"

Die Katholische Kirche selbst hatte eine ganze Weile gebraucht, um sich festzulegen. Zwar war man in der Praxis schon im zwölften Jahrhundert dazu übergangenen, sieben Sakramente zu spenden. Erst die Fusion mit einigen kleineren Ostkirchen machte daraus 1439 beim Konzil von Florenz offizielle Theorie, sprich: Lehre.

Seitdem kennt die katholische Tradition definitiv: (Wasser-)Taufe, Eucharistie (Heiliges Abendmahl), Firmung (Bekräftigungen durch den Heiligen Geist), Buße (Beichte), Ehe(bund), Weihe (zum Diakon, Priester, Bischof) und Krankensalbung.

Diese Sakramente lassen sich nach unterschiedlichen Aspekten gruppieren:

Sieben mit Variationen

Die Siebenzahl findet sich auch bei den "Mysterien" der Orthodoxen Kirche wieder – allerdings mit zwei wesentlichen Unterschieden: Die Myronsalbung wird sofort nach der Kindestaufe vollzogen und nicht wie die katholische Firmung erst im Teeanger-Alter. Außerdem ist es in der Orthodoxen Kirche der Priester, der das Ehesakrament spendet, während nach katholischem Verständnis die Partner es sich gegenseitig spenden.

Zwei plus fünf lautet die Formel in der Anglikanischen Kirche. Taufe und Abendmahl sind in jedem Fall als Sakramente anerkannt, während die anderen Riten der katholischen Traditionen häufig nur als Sakramentalien, also als sakramentale Handlungen eingestuft werden. Das kann je nach Ausrichtung innerhalb dieser Konfessionsfamilie allerdings variieren.

Am Ende gilt nur die Bibel

Doppelte Uneinigkeit herrschte in der evangelischen Tradition. Bei den Lutheranern finden sich in den frühen Bekenntnisschriften mal zwei und mal drei Sakramente. Doch die Buße ist im Laufe der Geschichte auf der Strecke geblieben. Durchgesetzt haben sich nur Taufe und Abendmahl. Sie sind biblisch so gut begründet wie sonst kein anderes Sakrament.

Diese beiden Handlungen kennt auch die reformierten Kirche. Doch deren Begründer sehen darin keine Riten mit eigener Wirkkraft. Für Zwingli sind es bloß Bekenntniszeichen der Menschen, und für Calvin sichtbare Zeichen göttlichen Heilsversprechens. Ähnlich stehen dazu auch viele evangelische Freikirchen.

Aus zwei mach drei – die doppelte Taufe

Das Sakramentsverständnis der Neuapostolischen Kirche hat große Gemeinsamkeiten sowohl mit der katholischen als auch mit der evangelischen Tradition. Ebenso wie diese beiden versteht sie Sakramente als "grundlegende Gnadenmitteilungen Gottes", heißt es im Katechismus (KNK 8): "Es sind heilige Handlungen, die am Menschen vollzogen werden, damit er das Heil erlangt."

Die drei Sakramente Heilige Wassertaufe, Heiliges Abendmahl und Heilige Versiegelung erinnern einerseits an die drei katholischen Initiationssakramente Taufe, Eucharistie und Firmung. Andererseits folgen sie dem evangelischen Prinzip der biblischen Grundlegung auch mit der Versiegelung als zweiter Teil der "Wiedergeburt aus Wasser und Geist". Doch dazu mehr in einer späteren Folge dieser Serie.

(7): Im Namen Gottes oder der Kirche?

Wer darf Sakramente spenden? Darauf haben die christlichen Konfessionen ganz ähnliche Antworten – selbst, wenn sie dabei aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Gemeinsam ist ihnen auch die eine große Ausnahme.

Vom "allgemeinen Priestertum aller Gläubigen" spricht die evangelische Theologie – und beruft sich auf die "königliche Priesterschaft" aus dem ersten Petrusbrief und der Offenbarung. Demnach gilt: Jeder Getaufte kann nicht nur das Wort Gottes verkündigen, sondern auch die Sakramente verwalten – zumindest rein theoretisch.

Wie es in der Praxis tatsächlich ausschaut, das regelt dort das kirchliche Disziplinarrecht. Demnach gilt: Den Auftrag und das Recht zur öffentlichen Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung haben grundsätzlich nur die ausgebildeten Pfarrer – und je nach Konfession gegebenenfalls auch Pfarrerinnen.

Zwischen Amt und Auftrag

So landen die evangelischen und reformatorischen Kirchen im gelebten Alltag nicht unweit von den ausdrücklichen Amtskirchen, wie der Katholischen Kirche, den Orthodoxen Kirchen oder auch der Neuapostolischen Kirche. Auch dort ist den ordinierten oder geweihten Amtsträgern die Spendung der Sakramente vorbehalten.

Die verbleibende Differenz dabei: Während die reformatorische Tradition die jeweilige Kirche als Auftraggeberin anseht, glauben die Amtskirchen an eine unmittelbare Bevollmächtigung im Namen Gottes.

Aus unterschiedlichen Händen

Einig sind sich fast alle Konfessionen beim Heiligen Abendmahl: Die Sakramentsverwaltung ist in der Praxis an einen – so oder so dazu beauftragten – Amtsträger gebunden.

Weitere Handlungen sind nur in der Katholischen Kirche, den Orthodoxen Kirchen und Teilen der Anglikanischen Kirche als Sakramente anerkannt: Beichten und Krankensalbung obliegen normalerweise dem Priester (Pfarrer). Die Firmung und die Weihe von Amtsträgern sind hingegen grundsätzlich dem Bischof vorbehalten.

Eine derartige Abstufung kennt auch die Neuapostolische Kirche: Die Spendung der Heiligen Versiegelung liegt allein in der Hand des Apostels.

Ein Sonderfall ist die Regel

Einen Sonderfall stellt nach katholischer Lehre die Ehe da: Als Sakrament spenden sich die beiden Partner den neuen Stand gegenseitig. Allerdings muss ein Pfarrer dabei sein. Die orthodoxe Lehre sieht hingegen in dem Priester den Spender des Sakraments.

Die ganz große Ausnahme betrifft die allermeisten Christen und das grundlegendste Sakrament: Auch wenn die Taufe in allen großen Konfessionen grundsätzlich einem Amtsträger obliegt, kann sie im Extremfall auch durch jeden Gläubigen durchgeführt werden.

Das gilt auch für die Neuapostolische Kirche. Denn laut Katechismus (Kapitel 8.1) hängt die Gültigkeit einer Taufe nicht davon ab, wer sie gespendet hat, sondern wie sie gespendet wurde. "Rite" oder "formgerecht" heißt hier der Zentralbegriff. Was dahinter steckt und warum das so wichtig ist: Damit beschäftigt sich eine der nächsten Folgen dieser Serie.

(8): Auf jeden Fall mit Wasser

Die Taufe ist so alt wie das Neue Testament. Sie ist sowohl Zankapfel als auch verbindendes Element unter den Christen. Mal ist sie Eintrittsritus ins christliche Leben, mal auch einfach nur Privatfeier. Tatsächlich aber ist sie mehr, als man denkt!

"Ich bin getauft." Christen sollten diese Aussage eigentlich verstehen, obwohl immer noch etliche Fragen zu klären wären: Als Kind? Durch Untertauchen? In einem Gottesdienst? Trinitarisch oder auf Christus? Sich "rite" taufen zu lassen, ist der kleinste gemeinsame Nenner unter den Kirchengemeinschaften. Dazu gehören Segensformel und Wasser.

Taufe, was ist das?

Sakramente sind Gottes Geschenke an die Menschheit. In der modernen Welt wird das schnell vergessen. Sie sind nicht Privatrecht oder Besitzstand des an Gott Glaubenden, sondern göttliche Zuwendung, ein Vermächtnis. Sakramente sind notwendig für das Heil, also für die Errettung, Erlösung und die ewige Gemeinschaft bei Gott, heißt es in den meisten Kirchenkatechismen. Ihnen diese Heilsbedeutung abzusprechen, degradierte sie zu einem Privatbesitz oder zu einer schönen kirchlichen Feier. Doch sie sind mehr: Nicht der Mensch hat Anspruch auf das Sakrament, sondern Gott schenkt es, wem er will. Er tut dies "nicht vom Himmel herab", sondern regelhaft, ordnungsgemäß, "rite" – wie die Kirchen sagen. In der Neuapostolischen Kirche und anderen Amtskirchen geschieht das durch geistliche Amtsträger.

Das gilt auch für die Wassertaufe. Sie ist das erste Sakrament der Kirche und macht den Täufling zum Christen. Durch sie wird die Ursünde (auch "Erbsünde" genannt) abgewaschen und der Mensch aus der Gottferne geholt. Der Getaufte ist Teil der Kirche Christi, also der Gemeinschaft, die an Jesus Christus glaubt und ihn als ihren Herrn bekennt. Damit hat die Wassertaufe einen immens hohen Stellenwert, wenngleich es sich verbietet, die Sakramente untereinander vergleichen zu wollen.

Übergießen oder Untertauchen

Wie der Name es sagt, hat die Taufe mit Wasser zu tun. "Taufen" heißt ursprünglich "tauchen". Rituelle Waschungen oder kultische Reinigungen sind so alt wie die Menschheit. Von ihnen unterscheidet sich die Heilige Taufe durch ihre Heilsrelevanz, weshalb sie "heilig" genannt wird. Sie ist weder Gleichnis noch Symbol, "sondern tatsächliche Zuwendung Gottes", sagt der Katechismus. Wenn auch in diesem Punkt die konfessionellen Auslegungen auseinandergehen, ist der kleinste gemeinsame Nenner doch klar: "Durch dieses Geschehen wird das Verhältnis des Menschen zu Gott grundlegend verändert. Das ganze Wesen des Menschen ist von der Wirkung der Heiligen Wassertaufe betroffen" (KNK 8.1.3.1).

Formgerecht oder "rite" sind die beiden tragenden Elemente der Heiligen Wassertaufe: das Wasser und die trinitarische Segensformel: "Ich taufe dich in dem Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." Solch trinitarisch vollzogene Wassertaufe verbindet die Christen miteinander. Der zugrundeliegende Inhalt ist schnell gesagt und schwer erfüllt: "Der Getaufte hat Teil am Tod Jesu Christi und an dessen neuem Leben. Er vollzieht – geistig gesehen – mit, was an Jesus Christus geschehen ist. Wie Christus für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben ist, soll der Mensch "der Sünde sterben", indem er ihr entsagt" (KNK 8.1.6). Christi Tod auf Golgatha wird des Täuflings "Tod": Die Gottferne endet, das Leben mit Christus beginnt. Paulus spricht vom "neuen Menschen": Der alte Mensch geht unter, der neue Mensch taucht auf.

Wird nun der Täufling eingetaucht? Viele Konfessionen tun das – bei ihnen ist die Taufe ein Ganzkörperbad. Andere tun das gelegentlich und an besonderen Festtagen, ansonsten übergießen sie den Kopf des Täuflings mit Wasser. Ob Kindertaufe oder Gläubigentaufe, ob mit ganzem Körper oder mit dem Kopf: Wasser und trinitarische Ansage gehören dazu.

Wassertaufe hat Vorbilder

Wie war das früher, wie entstand überhaupt dieses erste Sakrament der Kirche? Vorläufer gibt es gleich mehrere, etwa die Beschneidung im alten Israel. Sie war das Bundeszeichen für die Zugehörigkeit zum Volk Israel. Also eine Art Personalausweis, eine Staatsangehörigkeit durch Beschneidung? Nein, sie war bei weitem mehr. Erstens galt die Beschneidung ohnehin nur dem männlichen Teil der Volksgemeinschaft und zweitens hatte sie eine imaginäre, identitätsstiftende Bedeutung. Sie war Ausdruck der besonderen Gottesverehrung und Erfüllung seines Gebotes: "Eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch" (1. Mose 17,11).

Ähnliche Praktiken gibt es auch im Alten Ägypten und bis heute in etlichen islamischen Gemeinschaften.

Ein apostolisches Machtwort

Dann kam die Heidenmission. Heiden waren nicht-jüdische Menschen, die mit ihrer eigenen Kultur in die Christengemeinschaft aufgenommen wurden. Ihnen blieb nach hitziger Diskussion im Apostelkreis die Beschneidung erspart: "Und Gott, der die Herzen kennt, hat es bezeugt und ihnen den Heiligen Geist gegeben wie auch uns, und er hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen und reinigte ihre Herzen durch den Glauben" (Apostelgeschichte 15,8-9).

Das Sakrament der Taufe bildet seitdem die Zugehörigkeit zum neuen Bund mit Gott ab. Die Menschen in alter Zeit verstanden das recht gut, kannten sie doch die Geschichten von Noah und der Arche oder dem Durchzug des Volkes Israel durch das Rote Meer. Geteiltes Wasser führt aus der Gefangenschaft ans rettende Ufer, die Arche schützt vor dem Untergang.

Die Rede des Petrus am ersten Pfingstfest bringt die beiden Teile der Taufe – den mit Wasser und den mit Geist – in ein Verhältnis zueinander: "Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird" (Apostelgeschichte 2,38-39).

Dem Getauften steht der Zugang zur Heiligen Versiegelung offen. Doch davon mehr in unserer nächsten Folge der Serie.

(9): Das tödliche Wort für Taufe

Eintauchen ist nicht gleich eintauchen. Und Taufe ist nicht gleich Taufe. Manchmal sind es kleine Zeichen, die große Neuerungen aufzeigen – was uns Buchstaben der Bibel über das Grundlegendste aller Sakramente sagen.

Taufe kommt von tauchen – zumindest im Griechischen: Denn "baptisma" geht auf "bapto" zurück. Allerdings ist das Tätigkeitswort selbst im Neuen Testament kaum zu finden. Stattdessen dominiert ein anderer Begriff.

Tauchbäder als rituelle Reinigung, das praktizierten zur Zeiten Jesus viele Juden, zum Beispiel die Essener oder die Qumran-Gruppe. Und bald gehörte auch im Mainstream-Judentum für jede bessere Synagoge das "Mikwe" dazu: ein Tauchbecken.

Den Unterschied dieser Waschungen zur christlichen Taufe, den beschreibt genau jenes andere Wort für (unter/ein-)tauchen.

Vom Untertauchen zum Ertränken

"Lono" oder "bapto" – so bezeichneten weltliche Griechen, was die Juden machen: baden und abtauchen. Aber keinesfalls hätten sie "baptizo" geschrieben. Das heißt zwar auch ein- oder untertauchen, aber eher mit dem Beiklang von ertränken oder versenken. Und genau dieser vernichtende Begriff ist das Wort der Wahl im Christentum.

Nur vier Mal taucht "bapto" im Neuen Testament auf, aber 80 Mal das tödlichere "baptizo" und seine Nebenformen wie "baptízein". Ganz ähnlich beim Hauptwort für Taufe: Nur fünf Mal ist von "baptismós" (auch Waschung) die Rede, aber 22 Mal von der abgewandelten Eigenkreation "baptisma".

Warum ist den christlichen Autoren die Nähe von Tod und Taufe so wichtig?

Vom Täufer zum Christus

Einen Fingerzeig gibt es beim ersten Auftauchen des Begriffes: bei jenem Endzeitprediger aus der Wüste, der sich in Kamelhaar kleidet und von Heuschrecken ernährt. Johannes der Täufer ruft zur radikalen Umkehr auf. Sein Tauchbad gibt es – im Gegensatz zu den anderen – nicht regelmäßig, sondern nur ein einzige Mal. Denn es markiert das Ende des alten Lebens und den Beginn eines neuen.

Doch das christliche Verständnis von Taufe geht weit darüber hinaus. Entscheidender Hinweis ist, wie Jesus Christus von seinem bevorstehenden Opfertod spricht: "Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet ist!" (Lukas 12, 50) – Und: "Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?" (aus Markus 10,38)

Diese tödliche Taufe betrifft bis heute jeden Getauften.

Vom Sterben zu Leben

Denn: Getauft wird "auf den Namen" oder "im Namen" Jesu Christus. So formuliert es die Apostelgeschichte. Paulus macht in Römer 6 die Konsequenzen deutlich: Da "wir auf Christus Jesus getauft sind", sind wir auch "in seinen Tod getauft". Und so eng der Getaufte mit dem Sterben Jesu verbunden ist, so eng ist er es auch mit dessen Auferstehung.

Die Beziehung von Tod und Taufe ist der zentrale Gedanke, um den herum das Neue Testament viele weitere Aspekte der Erlösung entfaltet. Darum dreht sich eine künftige Folge diese Serie. Zuvor geht es aber um ganz praktische Fragen: Hat Jesus jemals selbst getauft? Wie hat er das Sakrament gestiftet? Und welche Form hat er dafür vorgeben?

(10): Taufe – ein Ritus im Fluss

Sie ist das fundamentale Sakrament: Die Taufe macht den Menschen zum Christen. Doch wie ist sie zu feiern? Dazu hat Jesus fast nichts gesagt. Es ist nicht mal klar, ob er überhaupt selbst getauft hat. Eine formgerechte Spurensuche.

Wie einfach ist es doch beim Abendmahl: Drei Evangelien und ein Apostel berichten in aller Ausführlichkeit, was Jesus tat und sagte, als er das Sakrament einsetzte. Für die Taufe gibt es hingegen keine derartige Schilderung eines Vorbildes.

Es ist sogar unwahrscheinlich, dass Christus jemals selbst getauft hat. Zwar berichtet das Johannes-Evangelium von solchen Handlungen, betont aber eiligst: Nicht Jesus selber taufte, sondern seine Jünger. Wollte er dieses Sakrament vielleicht gar nicht stiften?

Befehl ohne Ausführungsbestimmungen

Nein, die Taufe ist heilsnotwendig. Das hat Jesus selbst deutlich gemacht: Wer ins Reich Gottes will, der muss wiedergeboren werden aus Wasser und Geist. Und deshalb hat er seinen Apostel auch den klaren Auftrag gegeben, alle Völker zu taufen. Über die richtige Form hat er indes kein einziges Wort verloren.

Immerhin: Christus hat sich selbst taufen lassen – durch Johannes den Täufer. Darin sind sich alle Evangelien einig. Im Zentrum der Berichte steht jedoch, wie der Heilige Geist auf Jesu herabkommt und die Gottessohnschaft Christi bezeugt wird. Zum Ritus erfährt man nur, dass die Taufe im Fluss Jordan passierte.

Aber vielleicht ist ja die Apostelgeschichte hilfreicher. Immerhin kam der Taufbefehl ja vom Auferstandenen, also erst nach Ostern.

Ein Mosaik aus Momentaufnahmen

Tatsächlich: Die Taufe ist so alt wie die Kirche Christi. Schon in seiner Pfingstpredigt ruft Petrus die Zuhörer dazu auf, sich taufen zulassen. Und rund 3000 Menschen folgten ihm. Doch Hinweise zur Form – schon wieder Fehlanzeige.

Selbst in der sonst so anschaulichen Begebenheit mit Philippus und dem Kämmerer aus Äthiopien ist nur so viel zu erfahren: Der Getaufte steigt in ein nicht näher beschriebenes Gewässer.

Dennoch: Wer die Momentaufnahmen aus Apostelgeschichte und den Apostelbriefen sammelt, dem fügt sich das Mosaik zu einem Bild.

Was zur Taufe auf jeden Fall gehört

Demnach braucht die christliche Taufe.

Auf dem Weg zur Einheit

Ansonsten zeigt sich in urchristlichen Zeiten eine Vielfalt an unterschiedlichen Elementen in den Taufriten. Schon bald setzt der Trend zu Vereinheitlichung ein. So macht die "Didache" aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, mutmaßlich die Mutter aller Kirchenordnungen, ganz konkrete Vorgaben.

Demnach muss der Täufling erst Lehre lernen, dann ein, zwei Tage fasten und sich schließlich in lebendiges, also fließendes Wasser untertauchen lassen. Ersatzweise tut es auch ein dreimaliges Übergießen des Kopfes – ein Tribut an eventuelle Wasserknappheit.

Die Handauflegung ist eine Handlung, die immer wieder im Zusammenhang mit der Wassertaufe auftaucht – mal direkt danach, mal deutlich später. Dabei geht es um die Gabe des Heiligen Geistes. Doch das ist ein ganz eigenes Thema. Darum kümmern sich künftige Folgen dieser Serie.

(11): Die Taufe in fünf Dimensionen

Wie die Heilige Wassertaufe ablaufen soll, dazu schweigt sich das Neue Testament weitgehend aus. Doch was das Sakrament zu bedeuten hat, darüber hat die Bibel jede Menge zu sagen – ein Überblick.

Nein, eine in sich geschlossene Lehre von der Taufe entfaltet die Heilige Schrift nicht. Doch sie liefert jede Menge Mosaiksteinchen dazu, vor allem in der Apostelgeschichte und in den Briefen. Am ehesten formt sich ein Bild im Brief des Apostels Paulus an die Römer, Kapitel 6. In der Zusammenschau zeigt das biblische Taufverständnis fünf Dimensionen.

Schicksalsgemeinschaft mit Christus

"Auf den Namen Jesu Christi getauft": So oder leicht variiert lauten die Formulierungen vor allem in der Apostelgeschichte. Ob die griechische Wendung sagen will, dass sich Christus den Menschen zu eigen macht oder der Mensch sich Christus, darüber disputieren die Gelehrten. Doch in jedem Fall geht es um Zugehörigkeit, Bindung, Bund.

Allerdings ist das nicht nur eine lockere Bindung von Anhängern an ihr Vorbild. Das ist eine Schicksalsgemeinschaft auf Leben und Tod: "Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?" (Römer 6,3)

Erlösung durch Erneuerung

Diese Bindung ist der Weg zum ewigen Heil. Denn sie bietet die notwendige Erneuerung. Dazu finden sich im Neuen Testament gleich drei verschiedene Bilder:

Grundlage zur Gabe des Heiligen Geistes

Die Heilige Wassertaufe hängt eng zusammen mit der Gabe des Heiligen Geistes. Petrus macht sie bereits in seiner Pfingstpredigt zur Voraussetzung: "Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes" (Apostelgeschichte 2,38).

Diese Dualität macht das Neue Testament immer wieder deutlich, zum Beispiel in 1. Korinther 6,11: "Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. Vor allem aber in Johannes 3,5: "Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen."

Eingliederung in die Gemeinschaft

Die Taufe wird durchweg als Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen beschrieben. Diese Eingliederung geht weit über die Mitgliedschaft in irgendeiner Vereinigung hinaus. Das führt vor allem der 1. Korinther 12 mit dem Bild vom Leib Christi vor Augen. Jeder einzelne Teil des Körpers hängt mit dem anderen zusammen, ist auf die anderen Glieder angewiesen, erfährt Miteinander sowohl Leid als auch Wohlbefinden.

Das hat seine Folge für das Verhältnis der Mitglieder untereinander – Unterschiede zählen nicht mehr: "Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Galater 3,27-28).

Der Anfang der Letzten Dinge

Auch wenn die Taufe den Startpunkt auf dem Weg zur Erlösung markiert: In ihr ist auch schon das Ziel verankert. Das ist der Kern von Römer 6: Wer auf Christus getauft ist, der ist mit ihm der Sünde gestorben. Und ihm gleich geworden in seinem Tod, der wird ihm auch gleich sein in der Auferstehung – damit "auch wir in einem neuen Leben wandeln".

(12): Mit allen Wassern getauft

Aufnahme, Reinigung, Runderneuerung: Viele Deutungen kennt die Bibel zur Taufe. Was das Sakrament den Menschen konkret bedeutet, das wechselt im Laufe der Weltgeschichte – oft eine Frage von Politik und Gesellschaft.

Entscheidender Einschnitt war die "Konstantinische Wende" – also jene Phase im vierten Jahrhundert, in dem das Christentum sich von der verfolgten Minderheit zur römischen Staatsreligion entwickelte. Das "Davor" und "Danach" hätte unterschiedlicher kaum sein können.

Der Wechsel in eine Gegenwelt

Davor bedeutete die Taufe: raus aus dem bisherigen Umfeld, hinein in eine angefeindete Parallelgesellschaft. So dominierte die Deutung als radikale Wende, als das Sterben des Alten und die Geburt des Neuen. Das schlug sich auch in der Liturgie nieder. Der Täufling bekannte nicht nur den Glauben an Jesus Christus, sondern sagte sich auch ausdrücklich von seinem bisherigen Leben los.

Aus dieser Zeit stammen Taufbekenntnisse, wie sie sich im neuapostolischen Konfirmationsgelübde erhalten haben: "Ich entsage dem Teufel und all seinem Werk und Wesen." Und damals wurde die Taufe erstmals mit dem Begriff "sacramentum" verbunden, dem Treueid römischer Soldaten und Beamten.

Getauft wurde erst nach einer Vorbereitungszeit, in der die Bewerber gründliche Kenntnis in Sachen Bibel und Lehre erwarben. So entwickelte sich der Stand der "Katechumenen", die auch ungetauft schon zur Gemeinde gehörten.

Das neue Leben wirklich erleben

Auf den Kopf gestellt war diese Welt, als das Christentum erst geduldet und dann zur Reichskirche erhoben wurde. Da hatten es die Bewerber gar nicht mehr so eilig mit der radikalen Lebenswende. Nicht wenige ließen sich erst auf dem Sterbebett taufen. Paradebeispiel: Kaiser Konstantin höchst selbst.

Deshalb betonten die Theologen die mystischen Aspekte, das Hinein-getauft-sein in das Schicksal Jesu. Die Wirkung des Sakraments musste erlebt werden, bevor sie verstanden werden konnte. In dieser Zeit verband sich das bibel-griechische "mysterion" mit dem römischen "sacramentum" zum heutigen Sakramentsbegriff.

Parallel konnten Taufbewerber je nach Ausbildungsstand nur stufenweise am Gemeindeleben teilnehmen: Spätestens seitdem ist es nur Getauften erlaubt, am Abendmahl teilzunehmen.

Die Herrschaft entscheidet

Die Taufe als Herrschaftswechsel in den Machtbereich Jesu Christi hinein: Diese Deutung dominierte im frühen Mittelalter – in der Epoche, in denen ganze Völker christianisiert wurde, weil ihre Herrscher das so wollten.

Das führte zu Auswüchsen wie etwa der Zwangsmissionierung der Sachsen unter Karl dem Großen. So entstanden aber häufig auch eigene Bibelübersetzungen, für die manchmal erst noch ein eigenes Alphabet erfunden wurden – wie bei den Armeniern, den Goten und den Slawen.

Alte Fragen ganz neu gestellt

Vom theologischen Feinschliff geprägt war die spätmittelalterliche "Scholastik": Die Gelehrten komplettierten, was die Kirchenväter begonnen hatten. Das fing bei der Unterscheidung von Gültigkeit und Wirkung der Taufe aus dem frühkirchlichen "Ketzerstreit" an und hörte bei der Erbsünden-Lehre des Augustinus nicht auf.

In dieser Epoche gewann der Aspekt der Sündenvergebung an Gewicht im Taufverständnis. Auch das zeigte sich in der Liturgie. Der Täufling wurde eher mit Wasser besprengt als darin untergetaucht. Denn das Abwaschen war wichtiger geworden als das Ertränken.

Alles geklärt? Von wegen: Denn dann kam die Reformation und riss jede Menge Debatten wieder ganz neu auf – allem voran die Frage nach der Kindertaufe. Das ist das Thema in der nächsten Folge dieser Serie.

(13): "Lasset die Kinder zu mir kommen"?

Die einen stellen das Taufen unter Todesstrafe. Und die anderen errichten ihr eigenes "tausendjähriges Reich". Und das alles fängt mit einer Frage an, die auch heute noch Konfessionen trennt.

Und auf einmal lief die Reformation aus dem Ruder: Zürich und Straßburg waren ab den frühen 1520er Jahre die ersten Zentren einer Bewegung von Enttäuschten. Sie wollten eine vollkommene staatsfreie Kirche und waren aufgebracht, dass die großen Reformatoren ihrer Meinung nach nur halbe Sache machten.

Weil die Radikal-Reformer im Neuen Testament kein Vorbild für die Kindertaufe fanden, hielten sie die bis dahin vollzogenen Handlungen für ungültig und begannen, bekenntniswillige Erwachsene erneut zu taufen. Die evangelischen Fürsten und Städte reagierten: 1529 stellte der Reichstag zu Speyer die Taten der "Wiedertäufer", die sich selbst "Täufer" nannten, unter Todesstrafe.

Was die Lage nicht gerade entspannte: 1534 eroberten Endzeit-Extremisten aus den Reihen der Täufer erst den Stadtrat und dann das Stadtgebiet von Münster in Westfalen. Sie errichteten eine Glaubensdiktatur, in der neben den zehn Geboten gleichzeitig die Gütergemeinschaft und die Polygamie regierten. Das auf 1000 Jahre anlegte "Neue Jerusalem" war keine zwei Jahre später schon Geschichte.

Bibel verweigert eindeutige Antwort

Geblieben ist indes die Frage der Kindertaufe. Der Blick in das Neue Testament liefert dazu keinerlei wirklich nahrhaften Antworten:

Erstmals zweifelsfrei dokumentiert ist die Kindertaufe beim ersten lateinischen Kirchenschriftsteller Tertullian um das Jahr 200 herum. Er spricht sich dagegen aus. 50 Jahre später setzt sich Kirchenvater Cyprian dafür ein, Säuglinge am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt zu taufen. So geht es in hin und her, bis sich die Kindertaufe im fünften, spätestens im sechsten Jahrhundert durchsetzt.

Im Endeffekt eine Glaubensfrage

Ganz gleich, ob bei den Kirchenvätern oder in der Reformation - eins fällt in jedem Falle auf: Ob die Kindertaufe befürwortet oder abgelehnt wird, hängt davon ab, auf welche Weise die Taufe verstanden wird:

Und so geben die Konfessionen auch heute noch unterschiedliche Antworten auf die alte Frage. Die weit überwiegende Mehrheit des Christentums praktiziert die Kindertaufe. Dazu gehört neben der Katholischen und der Evangelischen auch die Neuapostolische Kirche.

Gemeinschaften wie die Mennoniten, Hutter, Baptisten oder die Pfingstbewegung akzeptieren ausschließlich die Erwachsenentaufe beziehungsweise "Gläubigentaufe". Das hat zeitweise zu Problemen bei der gegenseitigen Anerkennung des Sakramentsvollzugs geführt. Doch damit beschäftigt sich eine spätere Folge dieser Serie.

(14): Zwischen Tauchen und Tropfen

Wasser ist Leben. Und Taufe ist neues Leben. Doch wie viel Wasser braucht die Taufe? Und wie soll man damit umgehen? Darauf haben Theologen drei Antworten - und Archäologen noch eine vierte. Gibt es eine Richtige?

Die Taufe Christi: Seit Jahrhunderten haben die Künstler so ihre Probleme, sich davon ein Bild zu machen. Mal steht Jesus hüfttief im Wasser, mal geht er trockenen Fußes durch das Geschehen. Kein Wunder, denn den Malern fehlt das Vorbild.

Wie genau die ursprüngliche Taufe aussah, darüber schweigt sich das Neue Testament aus. Weder in den Evangelien noch in der Apostelgeschichte oder den Briefen wird der Ritus beschrieben, geschweige denn der Augenblick der Stiftung so konkret dargestellt, wie etwa beim Heiligen Abendmahl.

Wörtlich auf Tauchgang

Vieles spricht dafür, dass die Urgemeinden durch Untertauchen getauft haben: Vor allem das Wort für Taufe im Neuen Testament ist dafür Beleg. Die christliche Eigenkreation "baptisma" geht auf das allgemein-griechische "bapto" zurück. Und das heißt ein- oder untertauchen - meistens jedenfalls.

Doch damit ist der Ablauf der Handlung nicht zweifelsfrei beschrieben. Das zeigen allein detaillierte sprachliche Analysen des Begriffes und seines Kontextes in der Heiligen Schrift. Ganz abgesehen davon, dass das Untertauchen oft nur schwer möglich gewesen wäre: im Gefängnis, in wasserarmen Landstrichen oder bei Massentaufen von 3000 oder 5000 Menschen.

Alternativen sind möglich

Eine zweite Variante ist spätestens in der Mutter aller Kirchenordnungen dokumentiert: Wenn das Taufen in lebendigem, also fließendem Wasser nicht möglich ist, dann ist dem Täufling dreimal Wasser über das Haupt zu gießen. So schreibt es das siebte Kapitel der "Didache" vor, die ab dem ersten Jahrhundert entstand.

Eine dritte Form bringt das erste offizielle Diskussionspapier zum Thema Taufe um das Jahr 200 ins Spiel. Tertullian nennt in seinem Traktat "De Baptismo" neben dem Untertauchen ("per immersionem") und dem Übergießen ("per infusionem") auch noch das Besprengen ("per aspersionem").

Worauf Archäologen gestoßen sind

Und welche der drei Taufformen ist die historisch korrekte? Wahrscheinlich keine davon, sondern eine vierte Mischform: Der Täufling steht knie- bis hüfttief im Wasser, während sein Kopf mit Wasser übergossen wird.

Zu dieser Sichtweise gelangen zunehmend die Archäologen. Denn so lassen sich am besten die Abmessungen der Taufbadebecken erklären, die neben den frühen christlichen Kirchen zu finden sind. Und so zeigen es verschiedene Darstellungen: zum Beispiel in einer römischen Katakombe aus dem 3. Jahrhundert, auf dem Grabstein eines Mädchens aus dem Jahr 400 oder Glasfragmente aus einem altrömischen Haus (4./5. Jahrhundert).

Jede Form mit Sinn und Zweck

Also alles falsch, was die Kirchen da machen? Nein, denn sowohl biblisch als auch theologisch haben alle drei traditionelle Formen ihre guten Gründe, ganz ähnlich wie bei der Kindertaufe:

Die meisten Konfessionen sind sich einig: Wie viel Wasser in der Taufe zum Einsatz kommt, das ist zweitrangig. Entscheidend für den formgerechten Ritus ist allerdings, was Jesus Christus selbst ganz klar vorgegeben hat: "Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" (aus Matthäus 28,19).

(15): Mit der Taufe auf Wanderschaft

Klar, die Taufe gehört in die Kirche, oder? Nicht unbedingt: Einen guten Teil ihrer Geschichte hat sie vor den Türen oder ganz woanders verbracht. Der lange Weg der Taufe in die Kirche - und wieder raus - und wieder rein.

Sie gingen gemeinsam ins Wasser: der Täufling und der Taufende. Und es war ein natürliches Gewässer, fernab irgendwelcher Versammlungsstätten. So berichtet es zum Beispiel die Apostelgeschichte. Die ersten zwei, drei Jahrhunderte tauften Christen in Flüssen und Teichen - oder gelegentlich einmal auch Zuhause.

Typische Anordnung:
die achteckige Taufkapelle (Baptisterium) westlich der Lateranbasilika in Rom

Foto: phant - stock.adobe.com

Grundmuster christlicher Architektur:
Das Baptisterium des Lateran in Rom stammt im Kern aus dem vierten Jahrhundert.

Foto: Dmitriy Moroz

Weltkulturerbe:
Kirche und Taufkapelle von Aquileia (Italien) mit Baubeginn im fünften Jahrhundert.

Foto: Sailko - CC BY-SA 3.0

Das Taufbecken (piscina) im Baptisterium von Aquileia (Italien).

Foto: Emanuela Micheli

Die Ruinen der Taufkapelle in Ephesos (Türkei).

Foto: Matthias Holländer

Baptisterium von Shivta in der Negev-Wüste in Israel.

Foto: ekeidar - CC BY-SA 3.0

Vor der Kirchentür

In Richtung Kirche ging es im vierten Jahrhundert, als sich das Christentum zur Staatreligion entwickelte. Vor allem an den Bischofssitzen entstanden, westlich vor den eigentlichen Kirchen, eigene Taufgebäude - genannt "Baptisterium".

Mittelpunkt der Baptisterien waren die im Boden versenkten Taufbecken in Form von Kreisen, Kreuzen oder Vier- bis Achtecken. Deren Volumen war selten so groß, dass ein Erwachsener sich hätte ganz untertauchen können. Diese Gebäude waren, vor allem in ihrer achteckigen Version, der erste eigenständige Beitrag des Christentums zur Architektur - noch vor dem eigentlichen Kirchenbau.

Im Kirchenschiff

Rein in die Kirche kam das Sakrament, als die Kandidaten immer weniger Platz brauchten: Ab dem sechsten Jahrhundert setzte sich die Kindertaufe durch. Jetzt verwandelte sich das Bodenbecken zum Taufstock und wanderte in den westlichen Eingangsbereich des Gotteshauses.

Mit der Zeit schrumpfte die Wasserschale noch weiter, weil sich der Umgang mit dem Element änderte. So wurde das Untertauchen weitgehend vom Übergießen abgelöst und selbst letzteres musste mancherorts dem Besprengen weichen.

Innerhalb der Kirche umziehen musste die Taufe dann im 16. Jahrhundert während der Reformation - zumindest bei den Protestanten. Sie wollten das grundlegendste aller Sakramente nicht an den Rand gedrängt sehen, sondern in den Mittelpunkt der Gemeinde stellen. So rückte der Taufstein in die Nähe von Altar und Kanzel.

Raus und wieder rein

Raus aus der Kirche rutschte die Taufe aus entgegengesetzten Gründen: Not und Luxus. Die Not, das war die hohe Kindersterblichkeit. Man versuchte, die Säuglinge so früh wie möglich zu taufen. So wurde die Nottaufe fast schon Normalfall - gespendet durch die Hebamme zu Hause oder im Krankenhaus.

Der Luxus, den genoss das Bürgertum, dass sich im 17. Jahrhundert zu einem gehobenen Stand entwickelte. Taufe, das wurde immer mehr zu einer Familienangelegenheit. Die feierte man zwar gern, aber man blieb lieber unter sich.

Im 19. Jahrhunderten gaben charismatische Strömungen innerhalb des Christentums, aus denen auch die Neuapostolischen Kirche hervorging, dem Gemeindeleben einen neuen Stellenwert. Und damit kam auch die Taufe, die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen, wieder zurück in die Kirche.

(16): Der Weg in die Taufgemeinschaft

Taufen anderer Konfessionen anzuerkennen, ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt und hat im Laufe der Kirchengeschichte ihr Auf und Ab. Bis die Neuapostolische Kirche die Taufe anderer Kirchengemeinschaften anerkennen konnte, musste einiges in Gang gesetzt werden.

"Die Heilige Wassertaufe ist die erste und grundlegende sakramentale Gnadenmitteilung des dreieinigen Gottes an den Menschen, der an Jesus Christus glaubt.", so heißt es im neuapostolischen Katechismus KNK 8.1. Das klingt zunächst selbst-erklärend. Zumal die Taufe mit Wasser das erste Sakrament in der Kirche ist, das Initiationssakrament. Es macht den Menschen zum Christen.

In der Rückschau wird aber deutlich, dass sich selbst in dieser Frage die Gelehrten und Geistlichen jahrhundertelang gestritten haben: Welche Taufe ist gemeint? Wie wird sie zelebriert? Wer darf sie spenden? Wem darf sie gespendet werden? Und was genau macht die Taufe mit dem Getauften?

Taufe als konfessionelles Bekenntnis

Fragen über Fragen, die je nach Zeit und Konfession anders beantwortet wurden. Da macht die Neuapostolische Kirche keine Ausnahme. Auch in ihrer Kirchengeschichte gab es unterschiedliche Akzente des Verständnisses. Nachvollziehbar ist das vor allem dadurch, dass die Heilige Schrift kein rundes Bild von den Sakramenten allgemein und der Wassertaufe im Speziellen liefert. Die Bibel ist eben kein Rezeptbuch - sie ist Grundlage der Lehre, die aber konfessionell ausgestaltet wird.

Das Neue Testament trägt viele Aussagen zur Taufe bei, aus denen sich jedoch kein einheitliches Taufverständnis oder gar eine Tauflehre ableiten lässt. Das jeweilige Taufverständnis einer Kirche ist demnach immer Bibel-basiert, aber konfessionell ausgelegt. So auch in der Neuapostolischen Kirche.

Auf Distanz: Bestätigung nötig

In einem Lehrbuch von 1916 heißt die Frage: "Hat die in anderen Glaubensgemeinschaften empfangene Taufe auch in der Neuapostolischen Kirche Gültigkeit?" Die Antwort darauf: "Ja. Wenn die Handlung im Namen des dreieinigen Gottes mit Glaubenswort und Wasser vollzogen ist, dann wird sie durch den von Gott und Christo bevollmächtigten Bundesschließer - den Apostel - bei der heiligen Versiegelung anerkannt und bestätigt." Die vollzogene Wassertaufe ist gültig, wird aber vor der Heiligen Versiegelung öffentlich anerkannt.

Im Fragen-und-Antworten-Katechismus von 1952 wird in Frage 267 über den Wert der Taufe nachgedacht: "Welchen Wert hat die in einer anderen Gemeinschaft vollzogene Taufe?" Unmissverständlich lautet die Antwort: "Sie hat keinen größeren Wert als die Nottaufe vor ihrer Bestätigung. Es ist also zu einer Bundesschließung mit Gott nicht gekommen, da die Handlung unvollständig ist." Als unvollständig wurde sie deshalb bezeichnet, weil erst die Kombination mit der Heiligen Versiegelung die Wiedergeburt auslöst. Zu jener Zeit distanzierte sich die Neuapostolische Kirche klar von den ökumenischen Kirchen.

Das Umdenken beginnt

Nach bewegten Jahren und Diskussionen folgte in Fragen-und-Antworten von 1992 ein mildes Umdenken. Dort lauteten Frage 202 und die Antwort darauf: "Welchen Wert hat die in einer anderen christlichen Gemeinschaft vollzogene Taufe? Die Wassertaufe, die in einer anderen christlichen Gemeinschaft oder Kirche im dreieinigen Namen Gottes empfangen wurde, wird von der Neuapostolischen Kirche als ein für diese Gemeinschaft gültiges Sakrament anerkannt. Zur Erlangung der Wiedergeburt aus Wasser und Geist ist die Bestätigung dieser Taufe durch den Apostel oder einen von ihm beauftragten Amtsträger Voraussetzung."

Anerkennung als ein für die jeweilige Konfession gültiges Sakrament - das kennen andere Kirchen auch aus ihrer Geschichte. Wer als Kirche ökumenisch tätig werden will, kann so nicht schreiben, denn "dort gültig" heißt auch "hier nicht gültig". Darüber verstärkt nachzudenken, legte sich die Kirchenleitung zu Beginn der 2000er Jahre auf. Projektgruppen und Bezirksapostelversammlungen beschäftigen sich zunehmend mit theologischen Themen, mit dem Sakramentsverständnis, dem Kirchenverständnis und dem Amtsverständnis.

Uster bringt den Durchbruch

Ein Informationsabend am 24. Januar 2006 aus der Gemeinde Uster (Schweiz) läutete die geänderte Sicht auf das Taufverständnis ein. Die offizielle Webseite beschrieb das damals so: "Das hat es innerhalb der Neuapostolischen Kirche noch nicht gegeben: neue Definitionen und Präzisierungen der bisherigen Glaubenslehre wurden mit Hilfe einer Präsentation weltweit vermittelt, vorgetragen durch den Leiter der internationalen Kirche, Stammapostel Wilhelm Leber."

Gegenstand der aufwändigen Lehrvermittlung waren das geänderte Lehrverständnis zur Taufe sowie Fragen zur Exklusivität der Neuapostolischen Kirche. Die Taufen, die in anderen christlichen Kirchen formgerecht vollzogen wurden, werden künftig ohne weitere Bestätigungsformeln anerkannt. Die damals veröffentlichten Lehrpapiere sind in den Katechismus eingeflossen.

Taufe gilt für die ganze Kirche

Heute lautet die Antwort auf die Frage 493: "Ist die in einer anderen Kirchengemeinschaft vollzogene Taufe gültig?" wie folgt: "Ja, die Spendung der Wassertaufe ist in allen Bereichen der einen Kirche Christi möglich und wirksam. Die Wassertaufe ist der erste Schritt auf dem Weg zur völligen Erlösung. Überall, wo in dem Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, mit Wasser getauft wird, hat die Taufe Gültigkeit. Somit ist die Wassertaufe der Kirche als ganzer anvertraut. Der Grund dafür liegt im allgemeinen Heilswillen Gottes."

Das gilt wechselseitig: So, wie die Neuapostolische Kirche die formgerechten Taufen in anderen Kirchen anerkennt, akzeptieren auch die anderen Kirchen die neuapostolische Wassertaufe.

(17): Unterschiede schwarz auf weiß

Natürlich anerkennen Kirchen ihre Taufen untereinander, auch wenn dieser Schritt Jahrhunderte gebraucht hat. Denn die Frage nach den Sakramenten hängt eng mit dem jeweiligen Kirchenverständnis zusammen. Und doch haben sie es geschafft, tragfähige Papiere zu verabschieden.

Mittlerweile gibt es sie, die Dokumente, in denen die Kirchen eine gemeinsame Position zur Taufe beschreiben. Sie sind mehr als der "kleineste gemeinsame Nenner" und lassen sogar Spielraum für abweichende, eigene Erklärungen.

Die Mutter aller ökumenischen Konvergenzerklärungen zur Taufe ist die so genannte "Lima-Erklärung". Sie behandelt neben der Erklärung zur formgerechten Taufe auch die ökumenischen Definitionen über Amt und Abendmahl, weshalb ihr Text auch "BEM-Text" genannt wird (Baptism, Eucharist, Ministry).

1982 tagte eine Kommission des Ökumenischen Weltkirchenrates (ÖKR) in Lima, Peru. Ihr veröffentlichtes Papier brauchte jahrzehntelanges Ringen und war für die wechselseitige Anerkennung von Taufen in den einzelnen Konfessionen ein gewisser Durchbruch - gemeinsame Erklärungen von Amt und Abendmahl hat es seitdem bis heute nicht gegeben.

Das gemeinsame Verständnis

Für die Taufe werden weitgehend von allen beteiligten Kirchen folgende theologischen Grundsätze anerkannt:

Gemeinsam anerkannt wird auch der unaufhebbare Zusammenhang von Taufe und Glauben, was sowohl die Erwachsenentaufe als auch die Kindertaufe einschließt.

Die gemeinsame Form

Der Lima-Text nennt Grundbedingungen für eine formgerechte Ausführung der Taufe, ungeachtet, dass einzelne Konfessionen ihre eigenen Riten und Gebräuche vollziehen. So muss die Taufe mit Wasser im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen werden. Und es wird grundsätzlich anerkannt, dass wegen der Bedeutung der Taufe für den Gläubigen, die Tauffeier innerhalb eines öffentlichen Gottesdienstes erfolgen soll.

Auf der Lima-Erklärung zur Taufe fußen alle bisher erschienenen nationalen Dokumente. Zwei davon in der Schweiz und in Deutschland haben wegen ihrer Öffentlichkeit und der Beteiligung vieler Kirchen einen hohen internationalen Stellenwert erreicht.

Erklärung von Riva San Vitale

Riva San Vitale liegt im Tessin, der südlichen Schweiz. Schon in den 1970er Jahren gab es eine Verständigung von reformierter, methodistischer, christkatholischer und römisch-katholischer Kirche in der Schweiz, die formgerecht gespendete Taufe gegenseitig anzuerkennen. Aufgeschrieben und öffentlich vereinbart wurde das am Ostermontag 2014. Ihre Unterschrift unter die Erklärung von Riva San Vitale setzten sechs Kirchen: Schweizer Bischofskonferenz, Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund, Evangelisch-methodistische Kirche in der Schweiz, Christkatholische Kirche in der Schweiz, Anglikanische Kirche in der Schweiz und Bund Evangelisch-lutherischer Kirchen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. 2016 stellte die Neuapostolische Kirche Schweiz den Antrag, die Erklärung um ihre Unterschrift zu ergänzen.

Erklärung von Magdeburg

Ähnliche Papiere zwischen den Kirchen gibt es vielen Ländern. In Deutschland ist das entsprechende Dokument als die Magdeburger Erklärung bekannt geworden. Elf Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen haben am 29. April 2007 die wechselseitige Anerkennung der Taufe im Rahmen einer feierlichen ökumenischen Vesper offiziell erklärt. Vorausgegangen war ein intensiver Verständigungsprozess, bei dem auch die Mitgliedskirchen der ACK, die einer wechselseitigen Taufanerkennung nicht zustimmen, von Anbeginn beteiligt waren. Auch hier hat die Neuapostolische Kirche anlässlich der Feier des zehnjährigen Jubiläums zur Erklärung mitgeteilt, dass sie mit Positionen übereinstimme und unterschreiben könne.

(18): Die ganze Taufe in acht Sätzen

Die Taufe - so eine einfache Handlung und doch so reich an Bedeutung und Geschichte. Mehr als die Hälfte dieser Serie hat sich bisher allein um dieses Sakrament gedreht. Zeit für eine Zusammenfassung: acht Sätze zum Merken.

Taufen kommt von tauchen - zumindest im Griechischen. Die christliche Eigenkreation "baptisma" (Taufe) geht auf "baptismós" (Tauchbad, Waschung) zurück. Bei der Tätigkeit bevorzugt das Neue Testament statt "bapto" klar das "baptizo" - untertauchen mit dem Beiklang versenken oder ertränken. Mehr dazu: Das tödliche Wort für Taufe

Die Bibel kennt viele Bedeutungen. Das Neue Testament entfaltet keine abgeschlossene Lehre, liefert aber viele Ansätze. Es zeigt die Taufe als: Schicksalsgemeinschaft mit Christus, Erlösung durch Erneuerung, Grundlage zur Gabe des Heiligen Geistes, Eingliederung in die Gemeinschaft und Anfang der Letzten Dinge. Mehr dazu: Die Taufe in fünf Dimensionen

Umstände verschieben das Verständnis. Was das Sakrament den Menschen ganz konkret bedeutet, das wechselt im Laufe der Weltgeschichte. Und das hat viel mit politischen Großwetterlagen und gesellschaftlichen Einflüssen zu tun. Mehr dazu: Mit allen Wassern getauft

Die Schrift sagt wenig übers Wie. Jesus hat das Sakrament zwar eindeutig eingesetzt. Aber der Ritus ist nirgends detailliert beschrieben. Im Kontext wird aber klar: Die christliche Taufe braucht den Spender, das Wasser, die Formel und das Bekenntnis. Mehr dazu: Ein Ritus im Fluss

Beim Wasser zählt nicht die Menge. Die Form der Taufe hat sich früh vielfältig entwickelt. Spätestens seit dem Jahr 200 gibt es drei gut begründete Varianten: Untertauchen (Immersion), Übergießen (Infusion) und Besprengen (Aspersion). Mehr dazu: Zwischen Tauchen und Tropfen

Kindertaufe ist weder Vorschrift noch Tabu. Auch darüber schweigt sich die Bibel aus. Auch hier fielen Entscheidungen im frühen Christentum. Ob man die Kindertaufe befürwortet oder ablehnt, hängt davon ab, wie man das Sakrament grundsätzlich versteht. Mehr dazu: Lasset die Kindlein zu mir kommen?

Mit der Zeit wandert der Ort. Spontan im Fluss, Massenevent am Bischofssitz oder Notaktion im Krankenhaus - wo getaufte wurde, das unterlag den verschiedensten Einflüssen. Mehr dazu: Mit der Taufe auf Wanderschaft

Versöhnte Vielfalt braucht Geduld. Die Taufe ist der Eintritt in die eine Kirche Christi. Und dennoch brauchten die Kirchen lange, bis sie im Ritus auf einen Nenner kamen und ihre Handlungen gegenseitig anerkannten. Mehr dazu: die Stationen in der Neuapostolischen Kirche und in der allgemeinen Christenheit.

(19): Esst und trinkt - wenn Christus in die Gemeinde kommt

Bislang beschäftigte sich unsere Serie über die Sakramente in der Kirche Christi mit der Heiligen Wassertaufe. Jetzt wechseln wir das Thema und sprechen über das Heilige Abendmahl. Wie ist die neuapostolische Position dazu?

Das Heilige Abendmahl ist neben der Wassertaufe ein Sakrament, das in allen christlichen Kirchen zuhause ist. Und es wird nicht ein einziges Mal, sondern mehrmals gefeiert – in der neuapostolischen Gemeinde in jedem Gottesdienst, in anderen Kirchen weniger häufig. Die Inhalte, die Kirchen mit dem Sakrament verbinden, weisen erhebliche Unterschiede auf - ein Grund dafür, warum es eine gemeinsame Feier des Abendmahls zwischen den Konfessionen bis heute nicht gibt.

Vom Herrn selbst eingesetzt

"Ich glaube, dass das Heilige Abendmahl zum Gedächtnis an das einmal gebrachte, vollgültige Opfer, an das bittere Leiden und Sterben Christi, vom Herrn selbst eingesetzt ist. Der würdige Genuss des Heiligen Abendmahls verbürgt uns die Lebensgemeinschaft mit Christus Jesus, unserm Herrn. Es wird mit ungesäuertem Brot und Wein gefeiert; beides muss von einem vom Apostel bevollmächtigten Amtsträger ausgesondert und gespendet werden", sagt der neuapostolische Christ im Glaubensbekenntnis. Die Bedeutung des Sakraments lässt sich lehrmäßig und rational hingegen nicht erschöpfend erschließen, was prinzipiell für alle Heilstaten Gottes gilt. Es steht in engem Zusammenhang mit dem Geheimnis der Person Jesu Christi. Im Heiligen Abendmahl werden die Wirklichkeit Gottes und seine Hinwendung zum Menschen unmittelbar erfahrbar.

Ob Abendmahl oder Eucharistie oder Mahl des Herrn oder Brotbrechen (KNK 8.2.1) – gemeint ist jedesmal, dass Jesus Christus selbst das Abendmahl in den Kreis seiner Jünger eingeführt hat. Mit den Worten "Das tut zu meinem Gedächtnis" (KNK 8.2.5) erteilte der Herr seinen Aposteln Auftrag und Vollmacht, Heiliges Abendmahl in der Weise zu vollziehen, wie er es selbst getan hatte.

Die Abendmahlsliturgie

Bedeutsame Augenblicke brauchen Vorbereitung: Nach der Predigt und der Sündenvergebung kommt der Höhepunkt im Gottesdienst. Die Gemeinde feiert das Heilige Abendmahl – ein erhabenes, außergewöhnliches Ereignis für den Gottesdienstbesucher. Hinführende Gedanken zur Selbsteinsicht und Buße sind gesprochen, ein Bußlied von der Gemeinde gesungen, das Vaterunser gemeinsam gebetet, die Freisprache (Absolution) erteilt und das Opfergebet gesprochen worden.

Jetzt folgen Augenblicke der Stille, des Verharrens. Es ist dies die Zeit, die für das sichtbare, wahrnehmbare Abdecken der liturgischen Geräte, der Abendmahlskelche genutzt wird. Dies geschieht in größtmöglicher Ruhe und Würde. Im übertragenen Sinn öffnet sich jetzt quasi das Allerheiligste: Die Abendmahlselemente werden offengelegt. Und das soll die Gemeinde bewusst miterleben.

Der Tisch des Herrn ist bereitet

Der Priester breitet seine Arme aus, hält seine Hände segnend über die Kelche und spricht die würdevollen Worte der Konsekrationsformel: "In dem Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, sondere ich aus Brot und Wein zum Heiligen Abendmahl und lege darauf das einmal gebrachte, ewig gültige Opfer Jesu Christi. Denn der Herr nahm Brot und Wein, dankte und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut des neuen Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. Esst und trinkt! Das tut zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von diesem Wein trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt. Amen!" (KNK 8.2.16)

Jesus Christus ist in seine Gemeinde getreten. Durch die Worte des Priesters kommen zu Brot und Wein Leib und Blut Christi hinzu. Gott ist wirklich gegenwärtig – real präsent!

Die Worte der Aussonderung stehen überwiegend im 1. Korinther 11,24-26. Apostel Paulus zitiert darin Worte Jesu und beschreibt den Inhalt des Heiligen Abendmahls vom Grundsatz her. Aussondern oder auch konsekrieren bedeutet die Herausnahme von Brot und Wein aus dem üblichen Gebrauch. Durch das Sprechen der Einsetzungsworte wird die verborgene Gegenwart von Leib und Blut Christi in den sichtbaren Elementen Brot und Wein möglich. Dabei werden Brot und Wein in ihrer Substanz nicht verändert. Vielmehr tritt eine weitere Substanz hinzu, nämlich die von Leib und Blut Christi (Konsubstantiation). Eine Wandlung der Substanz (Transsubstantiation) findet nicht statt.

Keine Wandlung, aber mehr als Symbol

Und genau in diesem Punkt gehen die Meinungen in den Konfessionen auseinander. Manche Kirchen feiern die Verwandlung, für andere gelten Brot und Wein als Symbole. Das neuapostolische Abendmahlsverständnis (KNK 8.2.12) sagt: keine Wandlung, aber mehr als Symbol. Brot und Wein sind nicht lediglich Metaphern für Leib und Blut Christi; vielmehr sind Leib und Blut Christi wahrhaft anwesend (Realpräsenz). Zur Substanz von Brot und Wein tritt durch das weihende Wort die Substanz von Leib und Blut Christi hinzu. Die äußere Gestalt (Akzidenz) der Abendmahlselemente ändert sich durch dieses Geschehen nicht.

In den Abendmahlselementen ist der Gottessohn nun wahrhaft gegenwärtig. Und bleibt dort solange gegenwärtig, bis sie die für sie bestimmten Empfänger erreicht haben. Die Gemeinde (KNK 8.2.17) ist aufgerufen, das Heilige Abendmahl wegen seiner hohen Bedeutung in Andacht, Glauben und völliger Hinwendung zu Christus zu feiern.

(20): Zu reichhaltig für ein einzelnes Wort

Abendmahl, Kommunion, Eucharistie: Das sind die bekanntesten Bezeichnungen für dieses Sakrament. Doch in der Bibel tauchen diese Namen in diesem Sinne nicht auf, dafür aber andere Worte - über den Reichtum an Begriffen und Bedeutungen.

Wenn es nach Häufigkeit der Erwähnung in der Bibel geht, dann gibt es einen klaren Spitzenreiter – das "Brotbrechen" (griechisch: klasis tou artou). Ursprünglich heißt so der jüdische Ritus zur Eröffnung eines Mahles. Schon in neutestamentlicher Zeit wandelt es sich unter Christen allerdings zur Bezeichnung für das Sakrament, das Jesus kurz vor seinem Tod stiftete. Schließlich war seine Art den Brotfladen zu teilen so markant, dass ihn die Emmaus-Jünger genau daran erkannten.

Nur einmal taucht das "Herrenmahl" (kuriakon deipnon) auf – und zwar bei Paulus im ersten Korintherbrief, der dort auch vom "Tisch des Herrn" (trapeza kyriou) spricht. Anfangs meinte das ein Gemeinschaftsessen, an dessen Ende ein Gedächtnisritus stand. Später trennte sich das reine Sättigungsmahl von dem Herrenmahl als der gottesdienstlichen Feier im heutigen Sinne.

Beide Begriffe konnten sich als Namen für das Sakrament nicht allgemein durchsetzen. Doch auch die heutigen Bezeichnungen sind biblisch fest verwurzelt – allen voran das "Abendmahl". Zwar kann deipnon jede Art von Mahlzeit benennen. Doch da Wein serviert wurde, war es in jedem Fall ein Festmahl - und so etwas fand grundsätzlich abends statt. Zumal die Evangelien davon berichten, dass Jesus mit den Jüngern am Vorabend seiner Hinrichtung zusammensaß.

Während das Abendmahl vor allem in der evangelischen Tradition zu Hause ist, hat die Eucharistie in der katholischen Begriffswelt ihre Heimat. Das griechische Wort heißt übersetzt "Danksagung". Damit wurde zunächst der Auftakt des Mahles bezeichnet, von dem zum Beispiel die Evangelien berichten. Ab dem ersten Jahrhundert meint es die komplette liturgische Feier. In Eucharistie steckt das Wort charis (Gnade), das sich wiederum den Stamm mit chara (Freude) teilt.

Der Name "Kommunion" ist aus dem griechischen koinonia über das lateinische communio in den heutigen Sprachgebrauch eingewandert. Das Wort heißt übersetzt Gemeinschaft oder Teilhabe. Und in diesem Sinne spricht Paulus über das Abendmahl als die "Gemeinschaft des Blutes Christi" und die "Gemeinschaft des Leibes Christi". Heute bezeichnet der Begriff vor allem den Teil der Liturgie, bei dem die Hostien ausgeteilt und empfangen werden.

Im exakt gleichen Bibelvers (1. Korinther 10,16) taucht ein weiteres Wort auf, das ebenfalls für das Abendmahl benutzt wird: die Eulogie. Paulus spricht da vom Segen (eulogia). Allerdings meint das nicht die Richtung von Gott zu Mensch, sondern von Mensch zu Gott. Und so bezeichnet der Begriff heutzutage im Besonderen das Gebet über Brot und Wein, in dem der Herr gelobt und gepriesen wird.

So viel ist klar, einen eindeutigen Begriff hat Jesus Christus nicht hinterlassen, als er das Sakrament gestiftet hat. Und was ist mit der Form, der Wirkung und der Bedeutung? Da wartet noch die eine oder andere Überraschung. Damit befasst sich diese Serie in den nächsten Folgen.

(21): Mit Jesus und den Jüngern zu Tisch

Ein Abschiedsessen unter Freunden mit Folgen: Seit 2000 Jahren feiern Christen aller Konfessionen dieses Festmahl immer wieder. Was das Neue Testament uns über das letzte Abendmahl Jesu Christi berichtet.

Einem geselligen Mahl war er nicht abgeneigt, dieser Jesus von Nazareth. Er tafelte mit seinen Freunden, den Jüngern. Er aß mit den Verpönten und Verachteten, den Sündern. Und er speiste sogar mit seinen Feinden, den Pharisäern. Und immer setzte er damit Zeichen: für seine Vollmacht, zur Versöhnung und vor allem für das nahende Reich Gottes.

Das größte Zeichen dieser Art setzte Jesus mit jener Tafelrunde, die als das letzte Abendmahl in die Geschichte einging. Was er dort tat und sagte, das ging danach als persönlicher Erlebnisbericht von Mund zu Mund, bis es zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufgeschrieben wurde. Das erklärt, warum sich die Schilderungen von der Einsetzung des Heiligen Abendmahls unterscheiden.

Ein Ereignis, verschiedene Berichte

Drei von vier Evangelien berichten von der Stiftung des Sakraments und zudem - wahrscheinlich als ältestes erhaltenes Dokument - der erste Brief an die Korinther. Gemeinsam erzählen sie den Kern: Jesus nimmt Brot und Wein, verteilt beides an die Jünger und deutet diesen Akt als sein Leib und sein Blut, die geopfert werden.

Im Detail sind zwei verschiedene Traditionen erkennbar: Einerseits sind Paulus und Lukas auf einer Linie. Andererseits ziehen Markus und Matthäus an einem Strang. Und dann gibt es noch das Johannes-Evangelium, das ebenfalls ein ausführliches Abschiedsessen kennt. Hier dreht sich das Handeln Jesu jedoch nicht um Brot und Wein, sondern um die Fußwaschung.

Die größten Unterschiede im Überblick:

Unterschiedliche Worte, ein Gedanke

In ihrem Versuch, ein historisch akkurates Wortprotokoll des letzten Abendmahls zu rekonstruieren, bewegen sich die Forscher auf schwankendem Boden. So folgen sie in Sachen Termin derzeit mehrheitlich der Johannes-Darstellungen. Doch noch wenige Jahrzehnte zuvor galt das Passahfest als der Jour fixe.

Manchmal wird aber auch deutlich, dass die unterschiedlichen Berichte genau das Gleiche sagen wollen: Wenn Markus und Matthäus das Passahfest als Termin so betonen, dann bedeutet es dasselbe wie der Dauerauftrag "das tut zu meinem Gedächtnis". Denn für jeden Juden war Passah von Kindesbeinen an die wiederkehrende Gedenkfeier überhaupt.

Paulus, Matthäus und Johannes nutzen zudem ganz unterschiedliche Mittel, um zu zeigen, wie weit die Bedeutung des Abendmahls reicht. Der eine verweist auf die Wiederkunft Christi ("bis er kommt"). Der andere geht mit seiner Zukunftshoffnung noch ein ganzes Stück weiter ("mit euch in meines Vaters Reich"). Und der dritte hat ein ganzes Bündel an Abschiedsreden parat.

So viel ist klar: Eine eindeutige Art und Weise, das Heilige Abendmahl zu feiern, gibt die Bibel nicht vor. Noch vielfältiger sind die Bedeutungen und Wirkungen, die das Neue Testament dem Sakrament bemisst. Damit beschäftigt sich die nächste Folge dieser Serie.

(22): Weich oder hart - die Zeitfrage

War das letzte Abendmahl Jesu ein Passamahl? Daran entzündete sich eine der größten Kirchenspaltungen. Und davon hängt noch heute ab, wie wir das Sakrament feiern. Das Problem an der Sache: Die Bibel widerspricht sich selbst.

Fest oder fluffig, ungesäuert oder mit Treibmittel: Wie soll es denn gebacken sein, das Element "Brot" beim Heiligen Abendmahl? Das war eine der Fragen, über die sich Christen aus Abendland und Morgenland im 11. Jahrhundert verkrachten. Und am Ende passierte das "große Schisma", die Spaltung in Katholische Kirche einerseits und Orthodoxe Kirche andererseits. Dabei hatten beide die Bibel auf ihrer Seite.

Widersprüche in den Evangelien

Markus, Matthäus und Lukas sind sich einig: "Am ersten Tage der Ungesäuerten Brote, da man das Passalamm opferte " trafen sich Jesus und seine Jünger zum traditionellen Festmahl. Gefeiert wurde das Gedenken an den Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Und weil vormals alles so schnell hatte gehen müssen, dass kein Sauerteig mehr aufquellen konnte, feierte man Passa (bis heute) mit knackhartem Brotfladen.

Allerdings: Das Johannes-Evangelium siedelt das letzte Abendmahl mindestens einen Tag früher an, wo es Sauerteig-Brot gegeben hätte. Seine Chronologie läuft darauf hinaus, dass Jesus genau dann am Kreuz stirbt, wenn überall die Passalämmer geschlachtet werden. Deren Blut am Türrahmen hatte die Israeliten beim Exodus vor dem Würgeengel gerettet. Nun erlöst das Blut Jesu alle Menschen.

Hat Johannes dieser Symbolik zuliebe am Zeitablauf seiner Berichte gedreht? Seit Generationen sind die Wissenschaftler auf der Spurensuche.

Spurensuche im Neuen Testament

Für viele Fachleute ist die Johannes-Chronologie insgesamt deutlich logischer: die Verhaftung Jesu bei Nacht und die Kreuzung an Passa? Juristisch und gesellschaftlich damals kaum vorstellbar. "Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe", widersprechen sogar Markus und Matthäus ihrem eigenen Ablauf.

Andererseits finden sich vor allem beim letzten Abendmahl viele Handlungen, die auch vom Passamahl bekannt sind. Das Dankgebet beim Brotbrechen, der Segensspruch über dem Wein und der Lobgesang am Ende. Indes: Das alles gab es auch bei anderen Festmählern oder Alltagsmahlzeiten.

Zumal auch Markus, Matthäus und Lukas einen guten Grund haben, das Geschehen erzählerisch zuzuspitzen: Das neue Abendmahl löst das alte Passamahl ab, der alte Bund geht in den neuen Bund über.

Worum es wirklich geht

So gehen die Meinungen munter hin und her zwischen den Auslegern. Und es ist schwer auszumachen, welche Sichtweise gerade die Mehrheit hinter sich hat.

Sicher ist allerdings: Das letzte Abendmahl war kein Sedermahl nach der Ordnung wie sie bis heute gilt. Dieser verbindliche Fahrplan fürs Passamahl entstand frühestens im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Wie die Ordnung ("Seder") fürs Passamahl zu Zeiten Jesus genau aussah, darüber ist recht wenig bekannt.

Um welches Brot es beim Heiligen Abendmahl wirklich geht, das machte Jesu Christus bei ganz anderen Mahlzeiten deutlich - wie bei der wundersamen Speisung der Fünftausend: "Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern ."

(23): Tisch des Herrn - reicht gedeckt

Über das "Wie" sagt das Neue Testament nur wenig, über das "Warum" und "Wozu" um so mehr: Wie die Bibel das Heilige Abendmahl deutet - ein Überblick entlang der Deuteworte des Stifters Jesus Christus höchstpersönlich.

"Das ist mein Leib ."

Das griechische "soma" meint nicht nur den Körper, sondern den ganzen Menschen. Was Jesus ausmacht, skizziert der Satz zuvor. "Er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's" - sein Lebenslauf in Kurzform: Er nimmt Leib an, der gebrochen und in den Tod gegeben wird. Das Heilige Abendmahl feiert die Menschwerdung Gottes.

Der Leib Christi, das ist auch die Gemeinde der auf ihn Getauften. Es geht um Gemeinschaft, nicht bloß ums Zusammenkommen, sondern ums Zueinanderfinden. Das macht Apostel Paulus deutlich, als er den Korinthern den Kopf wäscht, weil sie beim Mahl nicht aufeinander achten. Das Heilige Abendmahl feiert innige Gemeinschaft mit der Gemeinde und ihrem Herrn.

". der für euch gegeben wird"

Mal heißt es "geben", mal "überantworten" oder sogar "verraten": Wenn Jesus den Jünger den Ausblick auf seine Zukunft gibt, oder Judas Iskariot als Verräter gebrandmarkt wird, spricht der Grundtext von "paradidomi". Das bezeichnet die verschärfte Form von "geben". Das Heilige Abendmahl feiert die ultimative Hingabe Jesu Christi.

"Das ist mein Blut ."

Markus und Matthäus zitieren hier Worte von Mose, als er am Berg Sinai das Volk mit dem Blut von Opfertieren besprengte - als Zeichen für den Bundesschluss Gottes mit Israel. Paulus und Lukas sprechen hingegen von einem neuen Bund, wie er vom Propheten Jeremia angekündigt war. So oder so: Das Heilige Abendmahl feiert den Bund Gottes mit den Menschen.

". das für euch vergossen wird ."

Und wieder das "für euch". Jesus handelt nicht zum eigenen Nutzen, sondern im Dienst der Menschheit. Das verweist auf die Prophezeiung Jesajas vom stellvertretenden Leiden des Gottesknechtes: der sein "Leben zum Schuldopfer" gibt. Das Heilige Abendmahl feiert die Opfertat Jesu Christi.

". zur Vergebung der Sünden"

So deutlich findet sich das nur bei Matthäus. Aber das Blut des Sühneopfers und das Leiden des Gottesknechtes lassen keinen Zweifel daran, dass es darum auch bei den drei anderen biblischen Zeugen geht: Das Heilige Abendmahl feiert die Erlösungstat Jesu Christi.

"Das tut zu meinem Gedächtnis"

Den sogenannten Wiederholungsbefehl überliefern nur Paulus und Lukas. Aber beständig im Brotbrechen, der frühen Form der Abendmahlfeier, war laut Apostelgeschichte schon die Urgemeinde in Jerusalem. Das Heilige Abendmahl feiert die Vergangenheit mit Jesus Christus.

"Denn sooft . verkündigt ihr den Tod des Herrn ."

Verkündigen ("katangello") ist kein stilles, in sich gekehrtes Erinnern, sondern ein lautes, Bekanntmachen. Und es passiert nicht in der Vergangenheit, sondern bei jeder einzelnen Wiedererholung immer wieder im Hier und Jetzt. Das Heilige Abendmahl feiert das Bekenntnis zu Jesus Christus und seine Gegenwart.

". bis er kommt"

Den Verweis auf die Wiederkunft Christi kennt zwar nur Paulus. Doch die drei Evangelisten gehen noch ein Stückchen weiter und nehmen mit der sogenannten Verzichtserklärung (auf das "Gewächs des Weinstocks") sogar das künftige Reich Gottes ins Visier. Das Heilige Abendmahl feiert die Zukunft mit Jesus Christus.

"Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt ."

Das Johannes-Evangelium berichtet zwar nicht vom letzten Abendmahl als solches. Doch nirgendwo sonst wird so drastisch deutlich, wie unerlässlich das Heilige Abendmahl ist: Nur wer sein Fleisch "kaut", so die wörtliche Übersetzung, "der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken." Das Heilige Abendmahl feiert das ewige Heil in Jesus Christus.

Hier deutet sich bereits ein Begriff von "Sakrament" an, den die Kirchenväter erst später formulierten. Zuvor ging aus der Abendmahlfeier der christliche Gottesdienst hervor. Damit befassen sich die kommenden Folgen dieser Serie.

(24): Vom letzten zum heiligen Mahl

Brotbrechen, Danksagung, Altarsakrament: Das sind nicht allein drei Bezeichnungen fürs Heilige Abendmahl. Das skizziert auch den Weg, den die Feier in ihrer Frühzeit genommen hat: weg vom familiären Abendessen, hin zum kirchlichen Gottesdienst.

Einen Gottesdienst kennt nur ein Teil der frühen Christen - nämlich die mit jüdischem Hintergrund: die Synagogen-Gottesdienste, die sie zum Teil weiter besuchen. Ihre Glaubensgenossen im griechisch-kulturell dominierten Rest der Welt kennen zwar die sogenannten Mysterienspiele, doch da bleiben Christen fern.

Ein Mahl, das Gemeinschaft stiftet

Dennoch hat der versprengte Haufen kleiner Hausgemeinden etwas ganz eigenes, Identität stiftendes: Im Rahmen der abendlichen Hauptmahlzeit hält die Tischgemeinschaft inne, teilt und verteilt feierlich Brot, lässt mancherorts einen Weinkelch herumgehen und gedenkt überall ihres Herrn Jesus Christus. Das ist das "Brotbrechen".

Wie diese feierlichen Augenblicke aussehen sollen, dazu machen die Evangelien und die Apostelbriefe kaum Vorgaben. So bleibt es den Vorsteherinnen und Vorstehern der Hausgemeinden überlassen, den würdigen Rahmen zu gestalten. Dazu finden sie in ihren Ländern ganz unterschiedliche kulturelle Mittel, Redeweisen, Gesänge, Handlungen. Und so gibt es zunächst eine Vielzahl von Formen dessen, was wir heute "Heiliges Abendmahl" nennen.

Neuer Ort, neue Zeit, neuer Schwerpunkt

Die Zeiten ändern sich, die Gemeinden wachsen. Man sieht sich nicht mehr täglich zuhause, sondern eher sonntäglich in Versammlungsstätten: nicht am siebten, sondern am ersten Tag der jüdischen Woche, zum Gedanken an die Auferstehung Jesu Christi an einem solchem Tag und deshalb auch als "Herrentag" bezeichnet.

Gesellige Gemeinschaft wird noch immer gepflegt. Aber der Gedächtnisteil trennt sich langsam vom gemeinschaftlichen Abendessen. Gesang, Lesungen oder Ansprachen nehmen dabei mehr Raum ein. Am wichtigsten wird das Dankgebet. Der in dieser Phase gebräuchlichste Namen für die gesamte Feier kommt aus dem Griechischen: "eucharistia" - Danksagung.

Vom Teilnehmen zum Wahrnehmen

Das Wachstum erreicht neue Dimensionen: Das Christentum entwickelt sich zur Staatsreligion. Die Gemeinden versammeln sich mittlerweile morgens und längst nicht mehr im privaten Rahmen von Hausgemeinden, sondern im immer größeren Kontext eigens erbauter Kirchen.

Die Feier des Abendmahls verliert den ursprünglichen Charakter der Tischgemeinschaft und heißt jetzt auch "sacramentum altaris" (Altarsakrament). Sie wird zu einem Ereignis, das sich zunehmend am Altar vor der versammelten Gemeinde abspielt. Das Teilnehmen weicht ein gutes Stück dem Wahrnehmen - dem Zuschauen. Die Form unterwirft sich Normen, der Gottesdienst folgt der Liturgie.

Eher praktisch als theologisch

So gestaltet sich in den ersten vier Jahrhunderten nach Christus der Weg vom letzten Abendmahl zum Heiligen Abendmahl. So skizzieren es Quellen wie das Neue Testament (Apostelgeschichte, erster Korintherbrief), die frühen Kirchenordnungen (Didache, Traditio Apostolica) und die Schriften der Kirchenväter (Justin, Irenäus).

Interessant dabei: Die Entwicklung in der Antike folgt eher praktischen als theologischen Erwägungen. So richtig theologisch wird es erst im Übergang zum Mittelalter. Und das geht nicht ohne Streit ab. Damit befasst sich die nächste Folge dieser Serie.

(25): Sein und Da-Sein

Brot und Wein: "Das ist mein" Leib und Blut. Über die Worte Jesu beim letzten Abendmahl zerbrechen sich die Christen seit 2000 Jahren die Köpfe. "Ist" - was heißt das? Die Antworten sind geprägt von der Denkweise der jeweiligen Zeit.

Warum ist das überhaupt wichtig? Es geht um die Gegenwart Jesu Christi beim Heiligen Abendmahl. Aber hat er nicht gesagt, dass er da ist, wo sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln? Klar, allerdings hat er auch gesagt, was man essen und trinken muss, um ewiges Leben zu erhalten: Es geht um die Gegenwart von Leib und Blut Christi beim Abendmahl - die sogenannte Realpräsenz.

Eine Frage, mehrere Antworten

Um solche Fragen haben sich die Christen der ersten Jahrhunderte wenig Gedanken gemacht: Sie feierten das Herrenmahl einfach. Wendepunkt war mal wieder die konstantinische Wende im vierten Jahrhundert. Da entwickelte sich das Christentum zur Staatsreligion und bekam massenhaft Zulauf. Die vielen Taufkandidaten erhielten Unterricht (Katechese), und der brauchte Lehrstoff.

Die griechischen Kirchenväter fanden ihre Erklärung bei den griechischen Philosophen im Urbild-Abbild-Schema. Demnach waren die Dinge der sichtbaren, materiellen Welt wesensgleiche Abbilder von Urbildern aus der unsichtbaren, wahren Welt des Schönen und des Guten. Und so konnten in den Abbildern Brot und Wein ganz einfach die Urbilder Leib und Blut Christi gegenwärtig sein.

Die lateinischen Kirchenväter hatten ihre eigenen Ideen. Der einflussreichste sah Brot und Wein als Zeichen (signum) von Leib und Blut, der eigentlichen Sache (res). Das meinte jedoch mehr als einen bloßen Symbolcharakter: Denn wo kein Rauch, da auch kein Feuer. Das Zeichen hängt wesentlich mit der Sache zusammen.

Streit ums Entweder-oder

Rund 400 Jahre lange blieb die Frage grundsätzlich ungeklärt. Und die Kirche hielt unterschiedliche Antworten aus. Das änderte sich im achten Jahrhundert, je weiter sich das Christentum unter den Germanen und den Franken ausbreitete. Sie konnten mit dem vielschichtigen Wirklichkeitsverständnis der alten Griechen nichts anfangen.

In der neuen Denkweise gab es nur ein Entweder-oder - entweder Bild oder Sache, entweder Symbol oder Wirklichkeit. Und diese Polarisierung führte zu Auseinandersetzungen. Ab da pendelten die Interpretationen zwischen massiv-materiell und symbolisch-spirituell.

Höhepunkt waren die beiden Abendmahlstreite: Im neunten Jahrhundert gerieten der Abt eines fränkischen Klosters und einer seiner Mönche öffentlich aneinander. Und im elften Jahrhundert legte sich der Domschulleiter von Tours mit diversen Synoden an. Am Ende sollte er beschwören, dass die Zähne der Gläubigen den Leib Christi zerkauen - was er absurd fand.

Zurück zu den Griechen

Das Ende des Gezänks kam, als die Scholastiker am Vorabend der Renaissance die alten griechischen Philosophen wiederentdeckten. Hier fand sich das Erklärmuster von Substanz und Akzidenz, von Gehalt und Gestalt. Substanz meinte damals nicht die chemische Materie, wie das Wort heute meistens verstanden wird, sondern das innerste Wesen einer Sache. Und Akzidenz bedeutet dementsprechend die materiellen Eigenschaften.

Angewendet auf die Realpräsenz ergibt sich der Gedankengang: Brot und Wein behalten ihre Akzidenz, ihre äußere Gestalt, ihre materiellen Eigenschaften. Doch es wandelt sich ihre Substanz, ihr innerer Gehalt, ihr wahres Wesen. So sind Leib und Blut Christi nicht in der Materie, aber ihrem Wesen nach wahrhaftig gegenwärtig. "Transsubstantiation" nennen Theologen dieses Konzept.

Rund 200 Jahre sorgt dieses Konzept für Ruhe. Doch dann kamen mit den Reformatoren neue Auseinandersetzungen. Davon berichtet die nächste Folge dieser Serie.

(26): Der Wandel im Wesentlichen

Über den Finger streift sich Metall. Der Bevollmächtige spricht. Und an der Hand trägt man - ja, was denn nun? Ein Schmuckstück? Einen Ehering? Ein Symbol? Und was hat das mit dem Heiligen Abendmahl zu tun?

Die Sache mit dem Ehering ist Anschauungsmaterial für eine theologisch-philosophische Diskussion, die sich seit Jahrhunderten um das Heilige Abendmahl als Sakrament dreht. Genauer gesagt: um die Frage, in welcher Art und Weise Jesus Christus dabei direkt vor Ort ist.

Darum zankten sich schon im vierten Jahrhundert die Kirchenväter Ambrosius und Augustinus. Und darüber fetzten sich im Mittelalter der Gelehrte Berengar von Tours und der Bischof Guitmund von Aversa. Gerade hatten die Theologen einen Konsens gefunden, da brach die Reformation die Debatte erneut vom Zaun. Daran zerschnitt sich schließlich das Tischtuch zwischen den Reformatoren Luther und Zwingli.

Wahrzeichen oder Wirklichkeit?

Ja, Jesus ist gegenwärtig im Abendmahl - allerdings nur geistlich, meinte Zwingli. Für ihn - ähnlich wie Jahrhunderte zuvor für Berengar und Augustinus - sind Brot und Wein ein Symbol. Dieser Sicht folgen heute Teile der Reformierten Kirche sowie Mennoniten, Baptisten, Pfingstgemeinden und viele evangelikale Freikirchen.

Ja, Jesus ist gegenwärtig im Abendmahl - und zwar umfassend: Sein Leib und Blut ist in Brot und Wein wahrhaft enthalten. So sehen es die Römisch-Katholische Kirche, die Evangelische Kirche lutherischer Ausprägung, die Orthodoxe Kirche und auch die Neuapostolische Kirche. "Realpräsenz" nennt sich diese Auffassung.

Und das ist dann der Punkt, wo nicht nur ein Kind sich fragt: Ja, kaue ich mit der Hostie im Mund denn auf Jesus herum? Mit genauso diesem Gedanken hatte schon der gute alte Berengar von Tours so seine Probleme. Die eindeutige Antwort: Nein. Denn auf der Ebene der chemisch-physikalischen Beschaffenheit passiert rein gar nichts. Die Veränderung findet auf einer anderen Ebene statt.

Gehalt oder Gestalt?

Um das zu verstehen, bedarf es eines kleinen Ausflugs in die Philosophie, zu einem Ansatz, der bis auf die antiken Griechen zurückgeht. Dabei geht es um das Begriffspaar von "Substanz" und "Akzidenz" eines Dinges, von Gehalt einerseits und Gestalt andererseits, vom Wesen einer Sache und ihren Eigenschaften. Oder im eingangs genannten Bild gesprochen: um "Ehering" und "Metallreif".

Soviel ist für die Vertreter der Realpräsenz klar: Akzidenz, Gestalt, Eigenschaften, also die Materie der Hostie bleibt im Abendmahl unverändert. Der Ehering behält bei der Trauung seine Form ebenso wie seine chemische Beschaffenheit. Doch beim Substanziellen, im Gehalt, im Wesen - auf dieser Ebene tritt eine Veränderung ein. Der Metallreif wird mit der Trauung vom bloßen Schmuckstück zum bedeutsamen Ehering.

Wandlung oder Doppelung?

Was genau beim Heiligen Abendmahl passiert, da sind sich die Konfessionen uneins: Die Katholiken gehen davon aus, dass sich das Wesen von Brot und Wein zu dem Wesen von Leib und Blut Christi wandelt. "Transsubstantiation" (Wesensverwandlung) heißt der Fachbegriff.

Die Lutheraner sagen hingegen, dass zu dem Wesen von Brot und Wein noch das Wesen von Leib und Blut Christi hinzukommt. "Konsubstantiation" heißt dieses Konzept, dem auch die Neuapostolische Kirche folgt. Der Metallreif ist sowohl Schmuckstück als auch Ehering. Diese doppelte Natur der Abendmahlselemente entspricht nach neuapostolischer Lehre dem zweifachen Wesen Jesus Christi als wahrer Mensch und wahrer Gott.

Worte mit Wirkung

Wann diese Wandlung oder das Hinzutreten beim Heiligen Abendmahl passiert, darüber herrscht wieder Einigkeit: bei der "Konsekration", also wenn der dazu bevollmächtigte Geistliche die Aussonderungsworte spricht. Und diese richten sich nicht nur in der Neuapostolischen Kirche nach den im Neuen Testament bezeugten Worten, mit denen Jesus Christus selbst das Sakrament einsetzte.

Wem derartige Überlegungen zu abgehoben erscheinen, der erinnert sich noch mal an die Lebenswirklichkeiten beim Ehering: Wie viele Hinterbliebene tragen noch Jahrzehnte lang diesen Metallreif - um sich die Liebe und das Wesen des Vorausgegangenen zu vergegenwärtigen ...

Jenseits aller theologischen Theorie - auch in der gemeindlichen Praxis haben die Konfessionen ihre Vielfalt entwickelt: Welches Brot darf's denn sein? Und welcher Wein? Wer darf das Sakrament spenden? Und wer empfangen? Damit befassen sich die nächsten Folgen dieser Serie.

(27): (K)ein hartes Brot?

Echt jetzt, Leonardo? Brötchen? Was Da Vincis berühmtes Gemälde beim letzten Abendmahl serviert, das passt nicht so ganz ins historische Bild. Dabei ist die Sache mit dem Abendmahlsbrot schon verzwickt genug - ein Streifzug.

So viel ist gewiss: Alltagsbrot kam in der Antike bei den Christen auf den Tisch des Herrn - in Kranzform oder als Zopf, zumeist aber der Rundlaib mit Kreuzkerben. "Panis quadratus" hieß das Gebäck, der vier Einschnitte auf der Oberseite wegen.

Der Wandel kam langsam und in Form von harten, flachen Brotfladen: erst in der syrischen Kirche, dann in der armenischen und schließlich in der lateinischen Kirche - im fünften, sechsten beziehungsweise neunten Jahrhundert. Den Durchbruch im künftig römisch-katholischen Westen brachte 819 der Erzbischof Hrabanus Maurus.

Als führender Kopf der karolingischen Renaissance hatte der Universalgelehrte ein besonderes Augenmerk auf die Bibel. Dort fand er sein Rezept für das korrekte Abendmahlsbrot. Doch die künftig orthodoxe Ostkirche blieb bei den altbewährten weichen Brotlaiben - und konnte sich ebenfalls auf die Heilige Schrift berufen. Wie kann das sein?

Eine Frage des Zeitpunktes

Alles hängt davon ab, auf welchem Tag man das letzte Abendmahl Jesu datiert. Die Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas nennen den Vorabend des jüdischen Passahfestes. Und beim Passahmahl wäre auf jeden Fall ungesäuertes, also flaches, hartes Brot gereicht worden. Das sollte an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten erinnern. Denn der Exodus war so eilig gewesen, dass keine Zeit mehr geblieben war, einen Sauerteig anzusetzen.

Das Johannes-Evangelium setzt das Abendmahl hingegen mindestens einen Tag früher an. Dann wäre das fluffigere, fermentierte Brot serviert worden. Auch die Hilfsargumente finden sich im Neuen Testament. Mal spricht der griechische Grundtext allgemein vom Brot (artos), dann wieder ausdrücklich vom Fest der ungesäuerten Brote (azymon). Mal vergleicht Jesus den Sauerteig mit etwas Gutem (Himmelreich), mal mit Schlechtem (Irrlehre).

Eine ganze Weile kamen Azymiten und die Prozymiten leidlich miteinander aus. Doch je mehr sich Ost- und Westkirche um die Vormachtstellung im Christentum stritten, umso mehr hauten sie sich die Brotkanten um die Ohren. Am Ende schmissen sich die Wortführer beider Seiten gegenseitig aus der Kirche raus. So entwickelte sich im elften Jahrhundert das "Große Schisma", die Spaltung in katholische und orthodoxe Kirche.

Eine Frage des Umgangs

Im Westen gab's schon bald wieder etwas Neues: Der Brotfladen wich einem noch flacheren Gebäck, der Oblate (lateinisch: oblata = dargebracht) - ein einfacher Brotteig aus Wasser und Mehl, gebacken wie eine Waffel, aber auf jeden Fall ohne Treibmittel, also ungesäuert. Der große Vorteil: Dieses Backwerk zerbröselt nicht so leicht und macht so den würdevollen Umgang mit dem Leib Christi einfacher.

Hostie heißt das Ergebnis bis heute. Das lateinische hostia bezeichnete ursprünglich das zum Schlachten bestimmte Opfertier und wurde zunächst auf Jesus Christus selbst angewandt. Bei den Kirchenvätern war es der Überbegriff für die beiden Abendmahlselemente Brot und Wein. Erst seit dem neunten Jahrhundert ist damit allein das Abendmahlsbrot gemeint.

So entwickelte sich bis heute eine bunte Vielfalt an Broten, zum Teil sogar innerhalb einzelner Konfessionen: Protestanten reformierter und unierter Ausprägung verwenden eher Weißbrot aus Brotteig mit Treibmitteln. Die lutherischen Protestanten nutzen hingegen ungesäuertes Backwerk - ebenso wie die Anglikanische Kirche und die Neuapostolische Kirche.

Brot, das macht nur das halbe (Abend-)Mahl. Und wie steht es um die andere Hälfte? Dazu schenkt die nächste Folge dieser Serie reinen Wein ein.

(28): Was die Kirchen einschenken

Rotwein, Weißwein, Traubensaft? Pur oder mit Wasser? Wie beim Brot hat das Christentum auch beim zweiten Abendmahl-Element eine Vielzahl von Varianten entwickelt. Und jede hat ihren Grund - mal theologischer, mal profaner Natur.

Wein? Streng genommen steht davon nichts in den biblischen Berichten über das letzte Abendmahl. Die Einsetzungsworte Jesu sprechen nur vom "Kelch". Allerdings: Der Inhalt stammt erklärtermaßen vom "Gewächs des Weinstocks". Das hätte in der Antike dreierlei sein können.

Am unwahrscheinlichsten ist Traubensaft. Denn der ließ sich damals nicht konservieren. Und für frischen Most war es die falsche Jahreszeit. Kaum plausibler ist Weinessig, der mit ordentlich Wasser durchaus als Durstlöscher diente. Denn es handelt sich ja um ein Festmahl. Da kam klassisch vergorener Wein auf den Tisch - nicht selten verdünnt mit etwas Wasser.

Traubenblut und heißes Wasser

Und mit ziemlicher Sicherheit war das ein Rotwein. Dafür spricht nicht nur die symbolträchtige Nähe zur Farbe des Blutes, von dem Jesus spricht. Schon im Alten Testament wird Wein auch "Traubenblut" genannt. So bestehen die Orthodoxen Kirchen bis heute darauf, die Eucharistie mit Rotwein zu feiern.

Das war Jahrhunderte lang auch der Normalfall in der Katholischen Kirche. Weißwein wurde erst 1478 von Papst Sixtus IV. zugelassen - und hat sich seitdem weitgehend durchgesetzt. Das hat einen eher praktischen Grund: Das Trienter Messbuch schreibt seit 1570 den Einsatz von Kelchtüchlein zur Reinigung (Purifikatorium) vor. Und da macht Weißwein deutlich weniger hässliche Flecken als Rotwein.

Sowohl die Katholische Kirche als auch die Orthodoxen Kirchen kippen Wasser in den Wein. Im Westen ist es nur ein kleiner Schwapp. Im Osten macht das bis zu einem Drittel des Kelches aus und ist heiß - um das Gemisch insgesamt auf Körpertemperatur zu bringen. Zeon nennt sich dieser Ritus, der spätestens seit 582 aus Konstantinopel bekannt ist. Hintergrund ist so oder so das Geschehen nach dem Kreuzestod Jesu: "Einer der Soldaten stieß mit einer Lanze in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus."

Rücksicht auf Kultur und Krankheit

Eine vergleichsweise junge Erfindung der Kirchengeschichte ist der Einsatz von Traubensaft. Das hat seine Wurzeln in der Erweckungs- und Heiligungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Da gehörte die Alkoholabstinenz zum angestrebten neuen Lebenswandel. Zwei Geistliche brachten den Durchbruch: Der eine stellte die These auf, dass beim letzten Abendmahl Jesu unvergorener Wein serviert wurde. Und der anderen fand ein Verfahren, Traubensaft haltbar zu machen.

Über methodistische Gemeinden kam diese Variante aus den USA nach Großbritannien und dann nach Europa sowie in den Rest der Welt. Traubensaft wird heute in vielen Glaubensgemeinschaften benutzt, in dem auch Kinder das Abendmahl mitfeiern dürfen. In der Evangelischen Kirche ist Traubensaft als Alternative zu Wein erlaubt, soll aber eigentlich die Ausnahme bleiben. Dennoch geht der Trend in diese Richtung, weil die Rücksichtnahme auf Alkoholkranke zunimmt.

Noch vielfältiger sind die Möglichkeiten in den Anglikanischen Kirchen, die im Sinne der Inkulturation ihre Liturgien an die Kulturen in den jeweiligen Ländern anpassen. So sind mancherorts zum Beispiel Fruchtsäfte oder der Aufguss von Rosinen beim Abendmahl erlaubt. Letztere Variante landet beinah wieder beim Ursprung: Rosinenaufguss war das Getränk, das jüdische Kinder schon vor 2000 Jahren beim Festmahl bekamen.

(29): Der Kampf um den Kelch

Brot und Wein soll's sein beim Heiligen Abendmahl - hat Jesus gesagt. Doch was ist mit Kindern, Allergikern und Alkoholkranken? Reicht da auch eines der beiden Elemente? Antworten liefert die Kirchengeschichte.

Es war die Nummer Zwei auf der Liste ihrer Forderung: Das Abendmahl müsse allen Mitfeiernden in "beiderlei Gestalt" dargereicht werden, verlangte die Reformbewegung der Hussiten Anfang des 15. Jahrhunderts. Denn damals war es in der römischen Kirche normal, dass nur der Priester den Wein zu sich nahm und die Gemeinde sich mit Brot begnügen musste.

Wie der Wein verschwindet

Seltsam: Genau eine solche "Teilung" der Abendmahlselemente hatte Papst Gelasius I. knapp 1000 Jahre früher noch als "schweres Sakrileg" angesehen. Doch seitdem hatte sich viel getan: immer mehr Gläubige und weniger Wein, Gemeinschaftsbecher in Zeiten von Seuchen und vor allem die wachsende Sorge, die Abendmahlselemente zu verunehren.

Schließlich hatte Paulus schon den Korinther eingebläut: Wer unwürdig mit Brot und Wein umgeht, der macht sich schuldig an Leib und Blut Christi. Somit wandelte sich im 13./14. Jahrhundert die Feier des Abendmahls. Das (Sauerteig-)Brot wich der (ungesäuerten) Hostie. Diese gab es nicht mehr auf die Hand, sondern gleich in den Mund. Und Wein verschwand aus der Gemeinde, blieb dem Priester vorbehalten.

Antwort auf eine andere Frage

Theologisch abgesegnet war die "Feier unter einer Gestalt" (communio sub una) durch die sogenannte "Konkomitanz". Demnach sind Leib und Blut Christus sowohl im Brot als auch im Wein wahrhaft gegenwärtig. Diese Lehre war im 11./12. Jahrhundert entstanden - als Antwort auf eine ganz andere Frage: Ob der Wein nur dem Blut und das Brot nur dem Leib Christi zuzuordnen ist? Nein, sondern beides beidem, sagt die "Konkomitanz".

Eine biblische Begründung fand sich in Johannes 6,48-58. Da spricht Jesus in einigen Versen von seinem Fleisch und seinem Blut, das gegessen beziehungsweise getrunken werden muss. Aber er benennt sich selbst oder seinen Leib auch ohne Bezug zum Blut als jenes Brot, das gegessen werden muss, um das ewige Leben zu erlangen.

Streit verhärtet die Fronten

Allerdings: Das Argument "Konkomitanz" zog die römische Kirche erst herbei, als sich die Vorreformer um Jan Hus für die Gemeindefeier in beiderlei Gestalt stark machten. Und eine biblische Begründung wurde erste aktenkundig, als rund 100 Jahre später die Reformatoren um Martin Luther gegen den "Kelchentzug" angingen.

Wie so oft war es erst die Auseinandersetzung, die das zementierte, was zuvor noch einigermaßen locker war: Kirchenkonzile machten "communio sub una" zum Pflichtprogramm. Und die diversen Fraktionen der Reformationen fanden im Kampf dagegen ein Ziel, das sie alle einte.

Wieder näher beieinander

Heute, ein halbes Jahrtausend später, haben sich die Kontrahenten längst wieder angenähert: Die Katholische Kirche erlaubt seit den 1960er Jahren Brot und Wein für alle zu bestimmten Anlässen und empfiehlt es für besondere Feiertage. Seit 2000 dürfen die Bischöfe in ihrem Bereich sogar eine generelle Freigabe erteilen. Und die evangelischen Kirchen halten die Abendmahlfeier mit nur einem Element in begründeten Ausnahmen für eine angemessene Lösung.

Einig sind sich beide, dass auch eine einzelne Gestalt die ganze Wirkung des Sakramentes vermittelt. Genauso lehrt es die Neuapostolische Kirche in ihrem Katechismus, Abschnitt 8.2.12: "Es ist bei den Abendmahlselementen allerdings nicht so, dass das Brot allein dem Leib und der Wein allein dem Blut Christi entspricht. Vielmehr sind in jedem der beiden Elemente - im Brot und im Wein - Leib und Blut Christi vollständig gegenwärtig."

(30): Abendmahl in beiderlei Gestalt

Abendmahl in Zeiten von Corona: Das könnte am geteilten Weinkelch scheitern. Wie lässt sich das Sakrament dennoch in beiderlei Gestalt feiern? Eine Antwort liefert die Geschichte - der Neuapostolischen Kirche.

Rauschen im Blätterwald: Über einen "Geistesblitzes" berichteten in der zweiten Jahreshälfte 2020 die Deutsche Presseagentur und der Evangelische Pressedienst - und damit Dutzende von digitalen und analogen Medien. Die Nachricht schaffte es sogar bis in die Ärztezeitung und katholisch.de, das Internetportal der Katholischen Kirche in Deutschland.

Das Problem: Die Pandemie macht es evangelischen Gemeinden schwer Abendmahl zu feiern. Denn derzeit wäre es unverantwortlich, dass viele Teilnehmer nacheinander aus einem Weinkelch trinken. Die Lösung liefert die Hostienbäckerei in Neuendettelsau (Bayern): Halbtrockner Weißwein ersetzt ein Viertel des Wassers für den Obladenteig. "Wein und Brot in einem", so lautet die frohe Botschaft. Doch so ganz neu ist die Idee nicht.

Bei den Pionieren der Kombi-Hostien hatte sich die evangelische Gemeinde Brück (Brandenburg) schon im Mai 2020 Unterstützung gesucht. Ein Konfirmationsgottesdienst ohne einen Gang an den Tisch des Herrn, das war undenkbar. Und so gab es eine "weininjizierte Oblate, für das Corona-gerechte Abendmahl in beiderlei Gestalt", heißt es in einem Blog-Post. Zur Verfügung gestellt hat das die neuapostolische Gemeinde am Ort. Denn da hat die Hostie mit den drei Weintropfen schon eine lange Tradition.

Zwei Probleme .

Bis zum 6. April 1917 war es auch in der Neuapostolischen Kirche üblich beim Abendmahl das Brot als Oblate und den Wein aus einem Kelch entgegenzunehmen. Doch die Angst vor Epidemien hatte die Hygiene zum Thema gemacht. So scheute sich so mancher Gottesdienst-Teilnehmer, den Becherrand zu berühren und seinen Schluck zu nehmen.

Außerdem war mitten im Ersten Weltkrieg kaum noch Wein zu bekommen. "Wir haben auch schon Zuflucht bis zur Hälfte von Wasser genommen, auch da würden wir nicht auskommen", erläuterte seinerzeit Stammapostel Hermann Niehaus.

. und drei Lösungen

Drei Lösungen diskutierte das kirchliche Zentralorgan, die Neuapostolische Rundschau, in der Ausgabe vom 25. März 1917.

Die Antwort lautete: "Der Krieg hat uns mancherlei gelehrt."

Verpflichten in der Pandemie

Die Kombihostie führte Stammapostel Niehaus im April 1917 zunächst nur für seinen Arbeitsbereich als Apostel ein. Verbindlich für die gesamte Neuapostolische Kirche wurde diese Form der Abendmahlelemente per Beschluss der ersten Apostelversammlung nach dem Weltkrieg im Juli 1919.

Da steckte die Welt gerade zwischen der zweiten und dritten Welle der so genannten "Spanischen Grippen", mitten in der furchtbarsten Pandemie zumindest des 20. Jahrhunderts. Eine ungewöhnlich aggressive Abart des Influenzaviruses steckt weltweit fast jeden dritten Menschen an und tötete mindestens 50 Millionen.

(31): Der Ablauf nach Speiseplan

Sie begann als einfaches Tischgebet und entwickelt sich zu einer reichen Kultur an Ausdrucksformen: die Feier des Abendmahls. Woher das kam und wohin das führt - Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Weder ein Drehbuch zum Ablauf noch Rezepte für die Zutaten hat Jesus hinterlassen. Doch in Erinnerung an ihn haben Christen von Anfang an gemeinsam gebetet und gegessen. Erst später zitierten sie dabei seine Worte vom letzten Abendmahl. Der erste Schritt auf einem langen Weg .

Und das ist daraus geworden: Loblieder, Bußhandlung, Zuspruch der Vergebung, Danksagung an Gott-Vater, Wortverku?ndigung, Glaubensbekenntnis, Fürbitte, Vorbereitung von Brot und Wein, Einsetzungsworte, Gedächtnis an Jesu Wirken, Anrufung des Heiligen Geistes, Hingabe der Gläubigen, Hinweis auf die Gemeinschaft, Gebet um die Wiederkunft Jesus, Gebet des Herrn, Zeichen des Friedens, Teilen des Brotes, Essen und Trinken, Lobpreis, Segen und Sendung. Diese Sammlung von Abendmahls-Riten findet sich in der berühmten Lima-Erklärung von 1982, dem bislang weitreichendsten Dokument ökumenischer Annäherung.

Eine Tradition macht den Anfang

Mutter diese Entwicklung ist die "Traditio Apostolica", die erste Kirchenordnung mit klaren Ansagen zu Amt und Sakrament. Mitte des dritten Jahrhunderts definiert sie, was zum Abendmahlsgebet gehört: die Anrufung Gottes, des Vaters (Anaklese), das Gedenken an Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu (Anamnese), die Bitte um die Wirksamkeit des Heiligen Geistes (Epiklese) und der abschließende Lobpreis (Doxologie).

Bis spätestens zum siebten Jahrhundert kommen weitere Gebete hinzu - allen voran das "Unser Vater" als das Gebet des Herrn, aber auch das "Sanctus", das das Dreimalheilig aus Jesaja und das Hosianna aus den Psalmen kombiniert. Nur im römischen Einflussbereich durchsetzen kann sich das "Agnus Dei" (Lamm Gottes). So gehen der katholische Westen und der orthodoxe Osten bald eigenen Wege.

Protestanten sortieren aus

Die Reformation bringt keine neuen Riten, sondern eher deren Reduzierung. Die werdende evangelische Kirche übernimmt viel von der katholischen Kirche, lässt aber weg, was nicht zu ihrer Lehre passt. Dazu gehört zum Beispiel die große Zelebrationshostie, die für die Gemeinde sichtbar zerteilt wird, um den Akt des Brotbrechens in der Liturgie abzubilden.

Derlei Schauspiele lehnen die Protestanten als priesterzentrierten Kult ab. Dahinter stehen gleich zwei theologische Streifragen: zum einen, ob es ein Priestertum als Heilsvermittler überhaupt braucht, zum anderen, ob sich im Abendmahl das Opfer Christi stets wiederholt und sogar die Gemeinde selbst ein Opfer darbringt.

"Im Heiligen Abendmahl sind nicht nur Leib und Blut Christi gegenwärtig, sondern auch das Opfer Jesu Christi selbst ist wirklich gegenwärtig", bekennt sich die Neuapostolische Kirche in ihrem Katechismus (KNK 8.2.13): "Doch ist es nur einmal gebracht worden und wird im Heiligen Abendmahl nicht wiederholt."

Von katholisch zu evangelisch

Kaum denkbar ist vor dem Hintergrund der Opfer-Frage für Protestanten die Praxis von Katholiken, die Kollekte durchzuführen, während Brot und Wein zum Altar gebracht und dort vorbereitet werden. Für die einen gibt es nur ein Opfer, das zählt - das Opfer Jesu Christi. Und die anderen wollen die Sammlung nicht als profanen Obolus sehen, sondern als Opfergabe an Gott. So hat das Geld das ursprüngliche Mitbringen von Brot und Wein ersetzt.

Von der katholischen Praxis scheint die Neuapostolische Kirche mit ihren Opferkästen weit entfernt. Doch genau da kommt sie her: "Darbringung der Zehnten und Opfer" findet sich zum Beispiel in der sogenannten Wachmann-Liturgie (Mitte der 1890er Jahre) kurz vor der Aussonderung. Wann genau diese Praxis aufgeben wurde, ist unklar. Ein leiser Nachhall hielt es allerdings zumindest im Deutschen bis zur Liturgie-Reform 2011 in der Aussonderungsformel: ". und lege auf das Dargebrachte ."

In der Zusammenschau fällt auf: Die orthodoxen, katholischen, evangelischen und anglikanischen Kirchen kennen alle ein Hochgebet nach dem Muster der "Traditio Apostolica". Die daraus hervorgegangenen Kirchen gehen freier mit der Gestaltung des Abendmahls um. Drei Elemente finden sich aber im Prinzip überall, wenn auch in unterschiedlicher Abfolge: das Vaterunser, die Einsetzungsworte und Dankgebete.

(32): Tischsitten bei Brot und Wein

Was feiert die Gemeinde mehr? Die Gemeinschaft mit Christus? Oder die Gemeinschaft untereinander? Antwort gibt die Art und Weise, wie sich die Gläubigen zum Abendmahl versammeln und die Elemente entgegennehmen.

Das Abendmahl ist ausgesondert - und dann? Die Praxis in den Kirchen kennt heute im Prinzip drei Formen, wie die Teilnehmer zu den Elementen kommen:

Zwischen Theologie und Praxis

Im ersten Fall sind es zumeist die dazu ordinierten oder beauftragten Geistlichen, die das Abendmahl austeilen. Dieser Ritus insgesamt soll betonen, dass Jesus Christus der Stifter und der Einladende der heiligen Feier ist.

Im zweiten und dritten Fall reichen sich die Gemeindemitglieder die Elemente häufig einander weiter. Das stellt nicht nur den Gemeinschaftssinn in den Vordergrund, sondern auch das "allgemeine Priestertum aller Gläubigen".

Welche Form eine Gemeinde praktiziert, unterscheidet sich nicht nur von Konfession zu Konfession, sondern auch innerhalb einer Konfession. Denn hier geht es auch um ganz praktische Angelegenheiten: Je mehr Teilnehmer vor Ort sind, umso schwerer lässt sich ein Treffen im (Halb-)Kreis oder am Tisch bewerkstelligen.

Von wessen Hand in den Mund?

Unterschiede gibt es auch in der Form, wie der Gläubige die Abendmahlsgaben zu sich nimmt. Das fängt schon beim Brot an. Bis ins neunte Jahrhundert hinein war es üblich, dass die Gläubigen das Element in die Hand gegeben bekamen.

Bereits ab dem sechsten Jahrhundert entwickelte sich aber die Sitte, die Hostie dem Teilnehmer direkt auf die Zunge zu legen - der dabei niederkniete. Diese Variante macht das Konzil von Rouen 878 zur verbindlichen Vorgabe - in der Katholischen Kirche im Prinzip bis heute. Doch mittlerweile habe die Teilnehmer ein Wahlrecht.

Auch die beiden Formen der Entgegennahme haben ihre Begründung: Den Vertretern der Mundkommunion geht es um Ehrerbietung gegenüber dem Abendmahl. Die Befürworter der Handkommunion betonen den Charakter als Mahl, wofür die Gabe selbst zum Mund geführt werde müsse.

Mit Strohhalm oder Löffel

Noch mehr Varianten gibt es bei der Darreichung des Weines: Als ursprüngliche Form wird der Gemeinschaftskelch angesehen. Alle Teilnehmer trinken aus dem gleichen Becher, der zwischendrin gegebenenfalls abgewischt und ein Stückchen gedreht wird.

Dagegen erheben sich - nicht erst seit heute - hygienische Bedenken. Einzelbecher als mögliche Lösungen widersprechen dem Gemeinschaftsgedanken. Geschichte ist die Idee eine Art Strohhalm zu benutzen. Das meist silberne Saugröhrchen, Fistula genannt, war noch bis ins 20. Jahrhundert bei Papstmessen üblich, ist mittlerweile so gut wie ausgestorben.

Bis heute praktiziert wird hingegen die Intinctio, das Eintauchen der Hostie in den Wein - dann zumeist gespendet als Mundkommunion. Eine Sonderform kennen die orthodoxen Kirchen. Hostien und Wein werden vermischt und dem Empfänger per Löffel, dem Cochlear, verabreicht. Mit Gabeln aus Elfenbein versuchten es vor mehr als hundert Jahren neuapostolische Gemeinden in den Niederlanden, bevor die Kirche die Kombi-Hostie einführte.

(33): "Zu Tisch!" - die Mahl-Zeiten

Wann ist der Tisch des Herrn gedeckt? Und wie oft nimmt der Glaubende daran Platz? Von täglich bis jährlich ist alles dabei in Geschichte und Gegenwart der Konfessionen - ein Rundgang durch die Kirchen.

Täglich - so lautete die Devise bei den ersten Christen in den Hausgemeinden des griechischen Kulturkreises, als das Abendmahl noch Brotbrechen hieß und ein besseres Dankgebet beim gemeinschaftlichen Abendessen darstellte. Wöchentlich feierten hingegen die Judenchristen, der Synagogen-Tradition folgend, am Sabbat, dem Samstag. Bald verschob sich die Feier des Herrenmahls hier wie dort auf den Herrentag - den Sonntag, als den Tag der Auferstehung.

Eine gewisse Täglichkeit blieb erhalten. Denn es war weitverbreitet, Abendmahlgaben mit nach Hause zu nehmen, um an jedem Morgen etwas davon zu verzehren: "vor jeder anderen Speise", so die Vorschrift. Das ist vom zweiten bis ins sechste Jahrhundert bezeugt. Daraus entwickelte sich das "eucharistische Fasten" - die Vorgabe in Katholizismus und Orthodoxie, vor der eigentlichen Feier eine gewisse Zeit lang auf Speisen und Getränke zu verzichten.

Auf Abstand zum Altar

Im Mittelalter entwickelte sich die Eucharistie-Feier immer mehr zu einer Art Schauspiel innerhalb des Altarraumes. Die Gemeinde geriet in eine passive Zuschauerrolle. Die Gläubigen verzichteten auf Brot und Wein und begnügten sich mit "Augenkommunion". Um dem entgegenzuwirken, führte das katholische Laterankonzil von 1215 die Pflicht ein, mindestens einmal im Jahr am Tisch des Herrn Platz zu nehmen.

Auch das wollten die Reformatoren besser machen. So konnte es für Luther und Co. nichts anderes geben als Abendmahlsfeiern an jedem Sonntag. Doch mit Blick auf die Paulus-Warnung, sich mit einer unwürdigen Teilnahme selbst zu richten, reduzierten sich auch hier die Besucherzahlen ganz schnell. Bereits Mitte des 16. Jahrhundert boten viele evangelische Gemeinden die Abendmahlsfeier nur noch vier Mal im Jahr an. Ganz ähnlich sah es bis ins 20. Jahrhundert hinein in der anglikanischen Kirche aus.

Mit der "liturgischen Bewegung" im 19. und 20. Jahrhundert rückte die aktive Teilnahme am Sakrament wieder in den Mittelpunkt - sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite. Verstärkt wurde das durch ökumenische Bestrebungen sowie ausdrückliche Reformen der Kirchenleitung.

Heute möglichst oft

Heute bieten die katholischen Gemeinden die Eucharistie bei jeder Messe an, also auf jeden Fall sonn- und feiertags. Nicht wenige feiern auch eine Vorabendmesse. Die Kirchenmitglieder dürfen an jeder Feier teilnehmen, aber nicht mehr als zwei Mal an einem Tag. Sie sind verpflichtet, mindestens einmal im Jahr zur Kommunion zu gehen.

Eine derartige Pflicht kennen Kirchen der reformatorischen Tradition nicht. Einige evangelische Landeskirchen geben ihren Gemeindeleitungen allerdings vor, das Abendmahl mindestens einmal im Monat anzubieten. Viele Gemeinden feiern wöchentlich.

Die Neuapostolische Kirche spendet das Sakrament üblicherweise zwei Mal in der Woche: bis 1998 während der damals noch zwei Sonntagsgottesdienste, seitdem in dem jetzt einzigen Sonntagsgottesdienst und - wo er stattfindet - auch beim Mittwochs- oder Donnerstagsgottesdienst. Warum? "Weil es den Menschen in der Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus erhält", erläutert der Katechismus in Fragen und Antworten: "Wir nehmen damit Wesen von Jesu Wesen auf."

Ausnahmsweise außerhalb

Einig sind sich die katholischen, orthodoxen und evangelischen Kirchen sowie die Neuapostolische Kirche darin, dass das Altarsakrament in den Gottesdienst gehört - auf fast jeden Fall. Über eine Ausnahme, die allen ebenso gemein ist, berichtet Kirchenvater Justin, der Märtyrer, schon aus dem zweiten Jahrhundert: "Den Abwesenden wird" von den ausgesonderten Gaben "durch die Diakone gesandt" - die Versorgung von Kranken, Schwachen und Betagten.

Im Katholizismus ist von der Krankenkommunion die Rede, denn hier geht es allein um Spendung und Empfang. Protestanten kennen hingegen auch ein eigenständiges Krankenabendmahl inklusive Einsetzungsworte. Der Neuapostolischen Kirche ist diese Form der Seelsorge so wichtig, dass sie diese im Liturgie-Band 2, "Sonderformen des Gottesdienstes", mit einem eigenen Kapitel bedenkt. Und da heißt es: "Grundsatz der Hausbedienung ist, dass sie dem üblichen Ablauf des Gottesdienstes so nahe wie möglich kommt."

(34): Botschafter göttlicher Initiative

Nach dem Was, Wie, Wo und Wann kommt nun das Wer: Wer darf das Abendmahl spenden? Darauf haben die christlichen Kirchen tatsächlich mal ganz ähnliche Antworten - allerdings mit unterschiedlichen Begründungen.

In der Neuapostolischen Kirche ist es ein klarer Fall: Nur ordinierte Amtsträger sind dazu berechtigt, im Namen Gottes zu reden und zu handeln. Und die Vollmacht zur Spendung des Heiligen Abendmahls ist neben den Aposteln nur priesterlichen Amtsträgern gegeben. Dabei beruft sich die Kirche auf ihre Apostolizität: Jesus hat diese Vollmacht dem Apostelamt übertragen. Und dieses Amt ist in der Neuapostolischen Kirche wieder mit Personen besetzt.

Ganz ähnlich sehen es auch die katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen: Nur geweihte Priester und Bischöfe dürfen die Eucharistie beziehungsweise die Göttliche Liturgie feiern. Sie berufen sich allesamt ebenfalls auf Apostolizität, allerdings auf eine andere Art - über die "apostolische Sukzession". Das heißt: Sie leiten die Autorität ihrer Geistlichen davon ab, dass sich die Bischofsweihen durch Handauflegung in ununterbrochener Folge bis auf die Zeit der biblischen Apostel zurückverfolgen ließen.

Zwischen Theorie und Praxis

Nach evangelischem Verständnis kann jeder getaufte Christ die Abendmahlsfeier leiten - zumindest theologisch-theoretisch. Das folgt aus der Lehre vom "allgemeinen Priestertum aller Glaubenden". Doch die Praxis sieht üblicherweise anders aus. Kirchenrechtlich kommen die öffentliche Wortverkündigung und die Leitung des Abendmahls nur denen zu, die dazu ordiniert sind - also den Pfarrerinnen und Pfarrern.

Einige Landeskirchen erlauben Ausnahmen in unterschiedlichem Maße: Angehende Geistliche feiern unter Aufsicht ihrer Ausbilder. Mancherorts dürfen auch besonders geschulte Laienprediger die Leitung übernehmen.

Zwischen Aussondern und Austeilen

Sowohl die Aussonderung als auch das Austeilen der Abendmahlselemente sind in der Neuapostolischen Kirche den ordinierten Amtsträgern vorbehalten. Die meisten anderen Kirchen differenzieren hingegen zwischen Konsekration und Kommunion, zwischen Einsetzung und Empfang.

Bei den Katholiken etwa liegt die Austeilung zunächst bei den geweihten Geistlichen, also auch bei den Diakonen. Daneben sind Laien zugelassen: einige mit Dauerauftrag (Akolythen), andere in zeitlich und örtlich begrenzter Mission (Kommunionhelfer).

Auch in den evangelischen Kirchen dürfen Nicht-Geistliche Brot und Wein überreichen. Zumeist werden Mitglieder von Gemeindegremien dazu berufen. In reformierten Gemeinden können die Gläubigen die Elemente auch untereinander weitergeben.

Zwischen Gemeinde und Kirche

Dass die eigentliche Leitung des Abendmahls ausdrücklich dazu berufenen Händen liegt, hat seinen guten Grund: "Es ist Christus, der zu dem Mahl einlädt und ihm vorsteht", dokumentiert die Lima-Erklärung von 1982 die ökumenischen Gemeinsamkeiten: "In den meisten Kirchen wird dieser Vorsitz durch einen ordinierten Amtsträger zum Ausdruck gebracht. Wer der Eucharistiefeier im Namen Christi vorsteht, macht deutlich, dass der Ritus nicht Schöpfung oder Besitz der Versammlung ist; die Eucharistie wird als Gabe von Christus empfangen, der in seiner Kirche lebt. Der Diener (minister) der Eucharistie ist der Botschafter, der die göttliche Initiative repräsentiert und die Verbindung der Ortsgemeinde zu den anderen lokalen Gemeinschaften in der universalen Kirche zum Ausdruck bringt."

Das war nur die eine Hälfte der Antwort auf die Frage nach dem Wer. Denn neben dem Spender kommt es nicht zuletzt auf den Empfänger an: Wer darf wo zum Abendmahl gehen? - ein heißes Eisen, das viel über die Grenzzäune zwischen den Konfessionen sagt. Diese Aspekte beleuchten die nächsten Folgen dieser Serie.

(35): Wer darf wo an den Tisch?

Platz nehmen am Tisch des Herrn - das kann einem Hürdenlauf gleichkommen: Alle christlichen Kirchen knüpfen Voraussetzungen an den Empfang des Abendmahls. Wer da eine andere Konfession besucht, der kann sich leicht verheddern.

Hürde Nummer 1 hat mit Wasser zu tun: In fast allen Kirchen sind nur Getaufte zur Abendmahls- beziehungsweise Eucharistie-Feier eingeladen. In einigen evangelikalen Gemeinschaften reicht dafür nicht mal eine Taufe als Kind, sondern erst eine als mündiger Gläubiger. Lediglich in wenigen Denominationen, wie etwa in der Evangelisch-methodistischen Kirche, ist das Abendmahl für Ungetaufte offen. Aber auch hier gibt es eine Bedingung zur Teilnahme: den Glauben an Jesus Christus.

Hürde Nummer 2 ist das Alter: In der Antike empfingen Säuglinge ganz selbstverständlich das Abendmahl - und zwar in den Minuten nach der Taufe. So haben es die orthodoxen und auch orientalisch-katholischen Kirchen beibehalten.

In der Römisch-katholischen Kirche darf der Nachwuchs seit dem zwölften Jahrhundert erst im "Alter der Verständigkeit" an den Tisch des Herrn. Die Grenze lag zunächst bei etwa sieben Jahren, stieg zwischenzeitlich auf 10 bis 14 Jahre und ist mittlerweile an ihren Ursprung zurückgekehrt. Die Premiere wird feierlich als Erstkommunion begangen.

In den Kirchen der Reformation musste die Teilnahme am Abendmahl bis zu Konfirmation im Alter von 12 bis 16 Jahren warten. Mittlerweile hat sich die Zulassung von Kindern in den evangelischen Kirchen weitgehend durchgesetzt. In den reformierten Kirchen ist das seit Jahrzehnten Usus. Auch in der Neuapostolischen Kirche sind getaufte Kinder zugelassen.

Hürde Nummer 3 ist die Konfession - und da wird es dann richtig kompliziert. Denn da spielen die Regeln von gleich zwei Kirchen eine Rolle: die des Spenders und die des Empfängers.

Am strengsten sehen es die orthodoxen Kirchen. Denn Kirche definieren sie als Abendmahlsgemeinschaft. Wer ihre Göttliche Liturgie mitfeiert, tritt mithin ihrer Kirche bei. Ausnahmen gibt es auf Anfrage nur für Katholiken, wenn sie keine anderen Möglichkeiten haben. Alle anderen Christen dürfen immerhin am Antidoron teilhaben - dem gesegneten, aber nicht ausgesonderten Brot, aus dem das eigentliche Abendmahlsbrot herausgeschnitten wurde.

Die katholischen Kirchen gewähren orthodoxen Christen die gleiche Gastfreundschaft wie umgekehrt. Angehörigen anderer Konfession ist die Teilnahme nur in Todesgefahr oder anderen schweren Notlagen erlaubt, aber auch nur, wenn sie ihre eigene Gemeinschaft nicht aufsuchen können und zuvor den Glauben an die Gültigkeit von katholischem Amt und Sakrament bekunden. Die Teilnahme an fremden Feiern ist Katholiken untersagt.

Ähnlich streng sehen es auch lutherische Kirchen sehr traditioneller Prägung. Die meisten evangelischen Kirchen pflegen aber die Gastfreundschaft. Eingeladen sind alle Christen, die auch in ihrer eigenen Kirche zugelassen sind. Die Teilnahme an fremden Feiern wird nicht empfohlen. Doch diese Kirchen sehen sich nicht berechtigt, dies den Gläubigen zu verbieten.

In der Neuapostolischen Kirche sind alle Christen, die mit Wasser und im Namen des dreieinigen Gottes getauft wurden, als Gäste zum Heiligen Abendmahl eingeladen. Die eigenen Mitglieder dürfen anderswo durchaus mitfeiern. Ihnen wird aber zu bedenken gegeben, "dass sie sich durch eine dauerhafte Teilnahme an der Abendmahlsfeier anderer Kirchen im Grunde zu deren Lehre bekennen".

Bleibt noch Hürde Nummer 4 - persönliche Voraussetzungen: So erwarten die orthodoxen Kirchen eine vorherige Beichte sowie den Verzicht auf Speisen und Getränke ab Mitternacht des Tages. Diese eucharistische Nüchternheit, hier wenigstens eine Stunde, kennt auch die Römisch-katholische Kirche. Versperrt ist der Zugang zur Kommunion jenen, die bewusst im Zustand schwerer Sünde leben. Dazu zählt diese Kirche zum Beispiel Geschiedene, die (mit einem anderen Partner) wieder verheiratet sind.

Derartige Beschränkungen kannte auch die Neuapostolische Kirche: So war Gläubigen, die in einer Partnerschaft ohne Trauschein oder in einer homosexuellen Beziehung lebten, der Gang zum Heiligen Abendmahl verwehrt. Doch das hat Stammapostel Hans Urwyler 1986 abgeschafft. Seitdem gilt in der Neuapostolischen Kirche das Prinzip "Eigenverantwortung".

(36): Sprung über den Kirchenzaun?

Hier Eucharistie - dort Abendmahl. Hier der Amtsträger an Christi statt - dort das Priestertum aller Gläubigen. Hier die Wandlung - dort das Hinzutreten von Leib und Blut des Herrn. Hier Christus - dort Symbol. Zwar wird das Abendmahl in allen Kirchen gefeiert, doch überall unterschiedlich.

Vieles erschwert gemeinsames Feiern. Versuche, den Abendmahlsritus zu vereinheitlichen, hat es immer wieder gegeben. Ein Schlüsseldokument für die ökumenischen Kirchen ist die "Lima-Erklärung" von 1982. Schon damals war klar, dass es drei große Fragestellungen gibt, in denen die Kirchen auseinander gehen: Taufe, Eucharistie und Amt. Daran hat sich bis heute wenig geändert, allein im Taufverständnis sind sich die Kirchen nähergekommen.

Beim Abendmahl gibt es nach wie vor weit voneinander entfernte Positionen. Die Lima-Erklärung bringt deshalb nur einen kleinen gemeinsamen Nenner zu Papier: Die Eucharistie sei eine Danksagung für das Opfer Christi. Im Sakrament feiere der Christ die Gemeinschaft mit Christus, mit seiner Kirche und untereinander. Das Sakrament solle jeden Sonntag gefeiert werden und brauche festgelegte, biblische Liturgietexte. Zuletzt wird die Hoffnung ausgedrückt, dass "ein größeres Maß an eucharistischer Gemeinschaft" möglich werden könnte.

Ökumene nach heutigem Verständnis - also die versöhnte Akzeptanz im Blick auf die unterschiedlichen Profile - befruchtet die Diskussion um ein gemeinsames Abendmahlsverständnis. Der Blick über den Tellerrand ist jedoch auch schmerzhaft. Gläubige Kirchenmitglieder beklagen öffentlich, dass es nicht weitergehe in dieser elementaren Frage, und die Kirchenleitungen reagieren mit theologischen Erklärungen, warum nicht zusammenkommt, was zusammengehört. Denn eigentlich, so eine weit verbreitete Annahme, ist das Abendmahl ein Gemeinschaftsmahl der Christen in Erinnerung an ihren Herrn und Heiland Jesus Christus.

Interkonfessionelle Gastfreundschaft

Ja, das ist es - aber es ist auch noch so viel mehr. Und auf dieses "mehr" legen die Konfessionen unterschiedliche Gewichte, denn interkonfessionelles Abendmahl gibt es schon, zumeist allerdings in der eigenen Konfessionsfamilie. Der Sprung über den Kirchenzaun hinein in andere Konfessionsfamilien ist für die meisten Kirchen noch zu weit und theologisch nicht vertretbar. Ein gemeinsamer Schritt ist immerhin die vorübergehende Einladung, die "eucharistische Gastfreundschaft": Mitglieder anderer Konfessionen nehmen gastweise am Abendmahl teil.

Dies ist auch das Muster der Neuapostolischen Kirche: "Wenngleich in der Regel nur neuapostolische Christen das Heilige Abendmahl empfangen, kann auch formgerecht getauften Christen der gastweise Zugang zum Heiligen Abendmahl gewährt werden. Es sollte ihnen deutlich gemacht werden, dass es sich beim Heiligen Abendmahl um ein Bekenntnismahl zum gestorbenen, auferstandenen und wiederkommenden Gottessohn handelt" (KNK 8.2.21).

Anderswo gibt es eine "offene Kommunion", an der alle rite getauften Christen aller Konfessionen teilhaben dürfen - so festgehalten etwa in der Lambeth-Erklärung der Anglikanischen Kirche oder der Arnoldshainer Erklärung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELK). Christus selbst lade zum Abendmahl ein, heißt es dort, und die Kirchen seien deshalb nicht berechtigt, Getaufte auszugrenzen. Evangelische Christen haben also keine grundsätzlichen Bedenken, in anderen Konfessionen am Abendmahl teilzuhaben. Allerdings wird ihnen empfohlen, nur dann zu kommunizieren, wenn der jeweilige Priester und die Gemeinde keine Einwände haben.

Viele Freikirchen kennen das "halboffene Abendmahl": Die Teilnehmenden müssen an Jesus Christus als Herr und Heiland und an sein Schuldopfer glauben. Dann spielt die konfessionelle Bindung keine Rolle.

Interzelebration

Echte Abendmahlsgemeinschaften, also eine Konzelebration oder die Interzelebration, bei der Amtsträger verschiedener Konfessionen gleichberechtigt das Abendmahl spenden, gibt es selten, denn dafür braucht es die volle Kirchengemeinschaft. Das ist etwa bei Kirchen der Fall, die sich auf ein entsprechendes gleiches Bekenntnis gründen, wie zum Beispiel die Kirchen im Lutherischen Weltbund. Auf katholischer Seite besteht eine solche Kommunionsgemeinschaft zwischen der Römisch-katholischen Kirche einerseits und den unierten Ostkirchen andererseits.

Ein Spezialfall ist die so genannte Leuenberger Konkordie aus 1973, weil sie eine Abendmahlsgemeinschaft in verschiedenen Konfessionen möglich macht. Danach haben die meisten lutherischen, reformierten und unierten evangelischen Kirchen in Europa eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Auch die Altkatholiken nach dem Utrechter Bekenntnis und die Anglikaner sind ein Sonderfall, weil auch sie mittlerweile die Interzelebration kennen.

Neue alte Wege

Wie das alles in der Realität aussieht, steht aber noch einmal auf einem anderen Blatt. Bis in die jüngste Zeit wird deutlich, dass die konfessionellen Wünsche auseinandergehen. Für die einen ist der Abendmahlsempfang das Allerheiligste im Glaubensverständnis und eine nicht-veränderbare Tradition, für andere eher ein gastfreundlicher Akt des Entgegenkommens und damit Ausdruck christlicher Nächstenliebe. Das Thema der Interkommunion wird also den Kirchen noch eine Weile erhalten bleiben.

Ökumene versucht, den unterschiedlichen Verständnissen wohlwollend zuzuhören und gemeinsame Sichtweisen auszuloten. Sie ist von daher kein Motor für Reformvorschläge, bringt aber Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen zum Vorschein, zum Beispiel dem Agape-Mahl, an dem sich viele Konfessionen ohne Verlust von Tradition beteiligen können.

(37): Abendmahl in vier Dimensionen

Jedem sein eigenes Abendmahl? Noch ist der Sprung über den Kirchenzaun schwer. Doch die Gemeinsamkeiten sind groß. Das skizzieren die Aussonderungsworte und das erläutert der Katechismus der Neuapostolischen Kirche.

"Esst und trinkt! Das tut zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von diesem Wein trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt." - So endet die neuapostolische Konsekrationsformel. Und darin stecken schon die vier Dimensionen der Abendmahlsfeier, wie sie der neuapostolische Katechismus (KNK 8.2.8 bis 8.2.11) beschreibt.

"Esst und trinkt" - die Gemeinschaft

Abendmahl ist Gemeinschaftsmahl. Jesus tafelte gerne und oft mit seinen Aposteln. Im Angesicht des Todes hat es ihn danach "herzlich verlangt". Theologisch entfaltet die Bibel diese Gemeinschaft dreifach:

". zu meinem Gedächtnis" - das Gedenken

Abendmahl ist Gedächtnismahl. Wiederholungsbefehl nennen Theologen diesen Satz Jesu Christi: "Das tut zu meinem Gedächtnis." Diese Worte finden sich nur in zwei der vier biblischen Schilderungen. Doch sie sind der Grund, warum von der Einsetzung oder Stiftung des Abendmahls gesprochen wird.

Das Gedenken gilt zunächst dem Tod Jesus Christi "als eines einzigartigen und für alle Zeiten gültigen Geschehens", wie es KNK 8.2.8 formuliert. Doch durch die stetige Wiederholung geht es "nicht nur um eine in die Vergangenheit gerichtete Erinnerung, sondern auch um das Bewusstsein der gegenwärtigen Anwesenheit Christi und seines zukünftigen Reichs."

". verkündigt ihr" - das Bekenntnis

Auch wenn konkret nur vom Tod des Herrn die Rede ist, ist damit auch das Bekenntnis zur Auferstehung und Wiederkunft Christi gemeint. Denn alles drei zusammen "gehört zum Grundbekenntnis des christlichen Glaubens", betont KNK 8.2.9.

Abendmahl ist Bekenntnismahl. Denn verkündigen ("katangello") ist kein stilles, in sich gekehrtes Erinnern, sondern ein lautes Bekanntmachen. Und das passiert nicht in der Vergangenheit, sondern bei jeder Wiedererholung im Hier und Jetzt.

". bis er wiederkommt" - die Hoffnung

Abendmahl ist endzeitliches Mahl. Dieser eschatologische Charakter steht laut KNK 8.2.11 in engem Zusammenhang mit dem Hochzeitsmahl im Himmel. Denn Jesus verzichtet erklärtermaßen auf das "Gewächs des Weinstocks" bis zu dem Zeitpunkt, bis dass das Reich Gottes vollkommen herbeigekommen ist.

Das heißt: Die Abendmahlsgemeinde lebt in der Hoffnung auf die Vollendung der Gemeinschaft mit Christus bei seiner Wiederkunft. Bis dahin erlebt die Gemeinde die innigste Gemeinschaft mit dem Herrn im Abendmahl.

(38): Viel mehr als eine "Quittung"

Mit ihrem Abendmahlsverständnis steht die Neuapostolische Kirche ihren katholisch-apostolischen Wurzeln ziemlich nahe. Doch bis dahin war ein gutes Stückchen Weg zurückzulegen - eine Streckenskizze.

Eine Gemeinschaft von Tischgemeinschaften: Wie eine Gruppe von Gläubigen das Altarsakrament versteht - nicht zuletzt das definiert sie als eine Kirche. So ist das spätestens seit der Reformation im 16. Jahrhundert. Vor allem ging und geht es um die Frage: Inwiefern ist Leib und Blut Christi in Brot und Wein anwesend?

Die Katholisch-apostolische Kirche hatte ziemlich schlüssige Antworten. Denn sie verfügte über Theologen, die das Fachvokabular des 19. Jahrhunderts kannten und nutzten. Im neuapostolischen Schriftgut des 20. Jahrhunderts ist hingegen ein mit jedem Autor neues Ringen um Worte zu beobachten. Die Ausdruckweise kehrte schlagartig auf ein fachtypisches Niveau zurück mit der Arbeit am Katechismus, der 2012 veröffentlicht wurde.

Symbol oder Wirklichkeit?

"Realpräzenz" lautet durchweg die Antwort auf die Zentralfrage. Über "die wahre und wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl" schreibt der katholisch-apostolische Theologe Heinrich Thiersch - ganz in der Tradition katholischer und lutherischer Lehre.

Dieser Faden zieht sich durch bis zum heutigen Katechismus: "Brot und Wein sind nicht lediglich Metaphern oder Symbole für Leib und Blut Christi; vielmehr sind Leib und Blut Christi wahrhaft anwesend."

Wandlung oder Hinzutreten?

Auch über das Wie sind sich die Epochen einig: Die katholische Lehre von der Transsubstantiation (Wandlung) wird ziemlich deutlich abgelehnt. Die Tendenz geht mehr oder weniger ausdrücklich in Richtung der lutherischen Lehre von der Konsubstantiation (Hinzutreten). In beiden Fällen ändert sich nicht die materielle Gestalt von Brot und Wein, sondern der Gehalt, das innere Wesen.

Ein Schlenker macht das Lehrwerk "Fragen und Antworten" jedoch Anfang der 1990er Jahre. Da taucht in diesem Zusammenhang plötzlich der Begriff "geistliche Wirklichkeit" auf, den die reformierten Kirchen üblicherweise der Realpräsenz entgegensetzen. Doch das ist weniger eine Lehränderung als nur ein Beispiel für die Sprachschwierigkeiten.

Anhängsel oder Hauptsache?

Ein ganz anderer Aspekt prägte das Abendmahlverständnis in der Epoche der Stammapostel Niehaus und Bischoff: War die Sündenvergebung zuvor nur die Vorbereitung zum Heiligen Abendmahl, kehrte sich das Verhältnis um. Das Sakrament galt nun nur noch als Quittung für die Freisprache, die selbst fast sakramentalen Stellenwert erhielt.

Von dieser Tradition verabschiedet sich die Neuapostolische Kirche schrittweise. Ende der 1960er Jahre ersetzen die Lehrwerke das Wort "Quittung" durch "Bestätigung". Und seit Anfang der 1970er Jahre bis heute gilt: Das Heilige Abendmahl ist die Hauptsache und die Sündenvergebung ermöglicht den würdigen Genuss.

Verständnisschlüssel "Doppelnatur"

Deutlich vom Katholischen ins Evangelische verschoben hat sich der Opfer-Aspekt im neuapostolischen Abendmahlsverständnis: Nach wie vor ist das Opfer Jesus Christi im Heiligen Abendmahl gegenwärtig. Doch von einer Antwort der Gemeinde ist keine Rede mehr. Dazu zählte bis in die Bischoff-Ära hinein die Darbringung der Elemente Brot und Wein. Die letzte Spur davon - "das Dargebrachte" in der Aussonderungsformel - ist mit der Liturgie-Reform von 2011 verschwunden.

Nicht nur wiederbelebt, sondern deutlich ausgebaut hat die Neuapostolische Kirche mit dem Katechismus die Ansätze der Katholisch-apostolischen Kirche in Sachen "Zwei-Naturen-Lehre". Dieses Konzept ist nicht nur der Schlüssel zum Verständnis des Wesens Jesu Christi, sondern auch zur Erklärung des Wesens von Kirche, Amt und Sakrament.

(39): Für wen vergossen?

Für wen ist Jesus Christus gestorben - für uns, für viele oder für alle? Diese Frage stellt eine kleine, aber gewichtige Änderung in den Aussonderungsworten zum Heiligen Abendmahl. Die Antwort ist gut erforscht.

Man muss schon genau hinausschauen, um diesen Unterschied zu entdecken, den die Liturgie-Reform 2011 mit sich brachte: Nicht mehr "für euch", sondern "für viele" ist das Blut Christi vergossen, heißt es in der neuen Aussonderungsformel.

Für alles ein Beleg

Wie passt das zusammen mit der Grundwahrheit des Evangeliums, "dass einer für alle gestorben ist"? - wie es zum Beispiel der zweite Korintherbrief formuliert. Zumal auch "für viele" absolut biblisch ist: die wörtliche Übersetzung des griechischen "hypér pollôn" in den Abendmahlsberichten nach Markus und Matthäus. Dort steht es neben dem "für euch".

Darüber haben sich schon die Kirchenväter und -lehrer von Origenes bis Thomas von Aquin die Köpfe zerbrochen - ohne eindeutiges Ergebnis. Dennoch: Über Jahrhunderte war "für viele" bei der Konsekration zu hören, bei Katholiken, Orthodoxen oder auch Anglikanern. Nur die Protestanten beschränkten sich auf "für euch".

Im Für und Wider

Ausgerechnet ein evangelischer Gelehrter hat die katholische Liturgie an dieser Stelle über den Haufen geworfen. Sein Beitrag zu einem international hochrenommierten Wörterbuch unter dem Stichwort "polloi" hatte solch eine Durchschlagskraft, dass das Zweite Vatikanische Konzil 1968 die landessprachlichen Übersetzungen freigab. Seitdem heißt die katholische Formel vielerorts "für alle".

Knapp 40 Jahre später, ab 2006, versuchte der Vatikan, zum "für viele" zurückzukehren. Seitdem diskutierten die Wissenschaftler hin und her. Die "pro multis"-Kontroverse war geboren, benannt nach der lateinischen Übersetzung von "hypér pollôn". Und genau in diese Phase fällt der Wechsel in der neuapostolischen Liturgie von "für euch" zu "für viele".

Für wen gesprochen

So viel ist mittlerweile klar: Die Argumentation des Lexikon-Artikels ist mächtig angekratzt, wenn nicht gar widerlegt. Denn der Autor griff dabei auf eine hypothetische Rückübersetzung ins Aramäische zurück - eine Methode, die heutigen Wissenschaftlern zu spekulativ ist.

Zumindest darin sind sich die Gelehrten einig: Ob es in der Liturgie "für euch", "für viele" oder "für alle" heißt - das ist weniger eine bibelkundliche noch eine sprachwissenschaftliche, sondern eine theologische Frage der Liturgie-Gestaltung: An wen richtet sich die Einladung zur Sakramentsfeier? Und in welchem Rahmen wird sie gesprochen?

"Jesus ist für alle Menschen gekommen, aber nicht alle nehmen ihn an", betont der Katechismus der Neuapostolischen Kirche. "Um Sündenvergebung zu erlangen und dem geistlichen Tod entrissen zu werden, ist der Glaube des Sünders an Jesus Christus als den Erlöser die erste Voraussetzung", heißt es zudem. Und schließlich gilt: "Grundvoraussetzungen zum würdigen Genuss des Heiligen Abendmahls sind ein Heil verlangendes, bußfertiges Herz und Glaube."

(40): Zwanzig Gänge in Info-Häppchen

Ein Menü in 20 Gängen - das hat die nac.today-Serie zu Geschichte und Theologie des Heiligen Abendmahls aufgetischt. Hier der häppchenweise Überblick - bevor es mit der Heiligen Versiegelung weitergeht.

Abendmahl, Kommunion, Eucharistie: Das sind die bekanntesten Bezeichnungen. Doch einen eindeutigen Begriff hat Jesus Christus nicht hinterlassen, als er das Sakrament stiftete. Nicht einmal über den genauen Termin seines letzten Abendmahls ist sich die Überlieferung einig. Auch eine näher bestimmte Art und Weise, wie das Heilige Abendmahl zu feiern sei, führt die Bibel nicht aus. Vielfältig sind indes die Bedeutungen, die das Neue Testament dem Sakrament beimisst.

Als die Feiern entstehen

Weg vom familiären Abendessen, hin zum kirchlichen Gottesdienst: Die Entwicklung in der Antike folgt eher praktischen Erwägungen. So richtig theologisch wird es erst im Übergang zum Mittelalter, als einer neuen Denke die Realpräsenz Jesu Christi erklärt werden muss. Die Reformation bringt neue Auseinandersetzungen und neue Erklärmuster.

Auch in der Praxis entwickeln die Konfessionen ihre Vielfalt - allem voran bei den Abendmahlselementen: Welches Brot darf's denn sein? Und welcher Wein? Reicht nicht auch ,ohne Kelch'? Und welche Form kann beiderlei Gestalt annehmen?

In der Liturgie gehen die Kirchen ebenfalls unterschiedliche Wege. Dazu gehört die Art und Weise, wie, wo und wann die Gemeinde sich versammelt, um zu Brot und Wein zu kommen.

Ein Geben und Nehmen

Wer darf das Abendmahl spenden? Darauf haben die christlichen Kirchen tatsächlich mal ganz ähnliche Antworten - allerdings mit unterschiedlichen Begründungen. Allerdings: Alle Konfessionen knüpfen Voraussetzungen an den Empfang des Abendmahls. Da stellt sich dann schon die Frage: Wer darf wo am Tisch des Herrn Platz nehmen?

Solche Abgrenzungen erschweren gemeinsames Feiern. Versuche, auf einen Nenner zu kommen, hat es immer wieder gegeben. Doch noch fällt der Sprung über den Kirchenzaun schwer. Immerhin: Auch jenseits des Sakraments hat das Abendmahl viele Dimensionen - als Mahl der Gemeinschaft, des Gedenkens, des Bekenntnisses und der Hoffnung auf die Zukunft.

Auch in der Geschichte der Neuapostolischen Kirche hat das Heilige Abendmahl seine Entwicklung - im Kleinen wie im Großen. Das reicht von den wenigen Worten in der Aussonderungsformel bis zum heutigen Stellenwert des Sakraments als Mittelpunkt des Gottesdienstes.

(41): Die Heilige Versiegelung - typisch neuapostolisch?

Was unterscheidet die neuapostolische Lehre von anderen Glaubensrichtungen? Diese und ähnliche Fragen werden immer wieder gestellt. Antworten darauf sind je nach Kontext länger oder kürzer. Ein Stichwort ist aber häufig dabei: die Heilige Versiegelung.

Die Neuapostolische Kirche kennt drei Sakramente. Und weil das so ist und andere Kirchen mehr oder weniger Sakramente haben, ist sie noch lange keine Sekte! Die Versiegelung ist - inhaltlich angelehnt - nämlich auch in anderen Konfessionen zuhause, auch wenn sie dort anders genannt wird. Eigentlich ist sie eine biblische Handlung, an der die Kirchen nicht vorbeikommen.

Laut dem neuapostolischen Katechismus ist die Heilige Versiegelung "das Sakrament, durch das der Gläubige unter Handauflegung und Gebet eines Apostels die Gabe des Heiligen Geistes empfängt und ein Gotteskind mit der Berufung zur Erstlingsschaft wird." Das ist ein schwerwiegender Satz. Auch deshalb, weil er die Grundfesten christlichen Glaubens berührt. Jesus wurde gesalbt, die Apostel und einzelne Gläubige wurden mit dem Heiligem Geist versiegelt. Später legte die Kirche eine Reihenfolge im Empfang der Sakramente fest. Vorgezeichnet war diese aber schon im Neuen Testament: "Diese Schilderungen bezeugen, dass bis auf die erwähnten Ausnahmen die Gabe des Heiligen Geistes allein durch Apostel vermittelt wurde. Im Weiteren wird deutlich: Erst nachdem die Wassertaufe vollzogen war, wurde die Gabe des Heiligen Geistes gespendet", sagt der KNK.

Entstehung und Entwicklung

Das war freilich nicht immer so. Die in den 1830er Jahren entstehende katholisch-apostolische Gemeinde verstand die Versiegelung eher als eine "Besiegelung" der vollzogenen Taufe. Das klingt zunächst wie ein marginaler Unterschied, ist es aber nicht. Die auch als "apostolische Handauflegung" bezeichnete Handlung wurde an Erwachsenen ab dem 21. Lebensjahr vollzogen. Durch sie, so wurde gelehrt, erhielt der Gläubige die Fülle des Geistes. Demnach war die Wassertaufe das Eingangssakrament, dass den Menschen zum Christen und zum Kind Gottes machte. Die Versiegelung - erst 1847 liturgisch eingeführt - besiegelte diesen Schritt. Wie bei einer Firmung oder Konfirmation vergewisserte sich der Getaufte der Begleitung Gottes und seiner Apostel.

Später erhielt das Sakrament insofern eine Aufwertung, als dass der Charakter der "Wiedergeburt aus Wasser und Geist" als heilsrelevant unterstrichen wurde - mit dem Verweis auf biblische Vorgaben. Die Wassertaufe wurde durch die Versiegelung "vollendet". Ein zusammengehörendes Sakrament in zwei Teilen, denn beide gemeinsam ergeben sie die Wiedergeburt. Dazu sagt der neuapostolische Katechismus: "In der Heiligen Versiegelung wird das vollendet, was in der Heiligen Wassertaufe begonnen worden ist: die Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Beide Sakramente sind Gnadenakte Gottes am Menschen, die nur einmal vollzogen werden. Das darin empfangene Leben wird vor allem durch den regelmäßigen Genuss des Heiligen Abendmahls genährt und erhalten. Die neue Kreatur, die durch die Wiedergeburt geschaffen wird, verweist auf Heiligung und Neuschöpfung, die durch Gott, den Heiligen Geist, geschieht."

Warum Versiegelung?

Wichtig ist vor allem der Glaube an die Bedeutung, an das Motiv dieses Sakraments. Warum wird die Heilige Versiegelung zum Sakrament? Warum und wie gehören Taufe und Versiegelung zusammen? Auch darauf haben die neuapostolischen Vorväter eine bezeichnende Antwort gefunden: Während die Taufe mit Wasser den Menschen in die Kirche Christi eingliedert, ist die Geistestaufe die Eintrittskarte in die Brautgemeinde des Herrn. Dort wird die nah erwartete Wiederkunft Jesu Christi gepredigt, dort bereiten Apostel die Gemeinde der Erstlinge vor: "Durch die Wiedergeburt aus Wasser und Geist wird der Glaubende darüber hinaus von Gott zur Erstlingsschaft berufen. Die Wiedergeburt hat also im Blick auf das Reich Gottes einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Aspekt (Johannes 3,5). Die gegenwärtige Auswirkung der Wiedergeburt, die Gotteskindschaft, stellt gleichsam eine Vorwegnahme der Erstlingsschaft, der "königlichen Priesterschaft", dar (1. Petrus 2,9). [.] Mit der Heiligen Versiegelung vollendet sich die in der Heiligen Wassertaufe begonnene Übereignung an Christus. Der Glaubende erhält jene geistliche Belebung, die ihn in die Gemeinschaft mit dem wiederkommenden Herrn führt (Jakobus 1,18; Offenbarung 14,4). Damit gehört er zu denen, die Gott innerhalb der Kirche durch die Apostel auf die Wiederkunft Christi zur Hochzeit im Himmel vorbereitet (Offenbarung 19,7.8)." (KNK 8.3.9).

Wie sich dieses Sakrament über all die vielen Jahre in der Kirchengeschichte entwickelt hat, warum es zuletzt zu einem wichtigen Kennzeichen neuapostolischer Lehre wurde und was die anderen Konfessionen dazu sagen, das entwickeln wir in weiteren Folgen unserer Serie zum Thema "Sakramente".

(42): Der Geist in Reichweite

Ritus, Sakrament oder nur ein Nebeneffekt der Taufe: Wie der Christ zum Heiligen Geist kommt, das sehen die Kirchen ganz unterschiedlich. Und diese Vielfalt hat fast 2000 Jahre Tradition.

Das Manifest könnte so ausgesehen haben: Gott hat der Christenheit eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes geschenkt - und damit die Urkirche und ihre Geistesgaben, wie Krankenheilung und Zungenrede, wiederbelebt. Das kann und muss man selbst erleben. Und dann klappt's auch wieder mit der Verkündigung und Verbreitung des Evangeliums.

Der Geist macht den Anfang

Nein, diese Beschreibung zielt nicht auf die 1830er Jahre, als das Apostelamt wiederbesetzt wurde. Diese Formulierung gilt auch nicht dem Aufkeimen der Pfingstkirchen ab den 1900er Jahren. Die Worte nennen viel mehr die Gemeinsamkeiten der charismatischen Impulse, die alle Großkirchen außer der Orthodoxie in den 1960er Jahren erfassten. Und Impulse wie diese lassen sich zurückverfolgen mindestens bis zur Erneuerungsbewegung der Montanisten in den 160er Jahren - also in der ganz frühen Kirche.

Wie lässt sich der Heilige Geist empfangen? Wie wirkt sich das aus? Und wie zeigt sich das? Fragen wie diese bewegt die Christenheit seit ihren Anfängen. Warum sollte das so wichtig sein? Ganz klar: Zwar ist Jesus Christus der Erlöser. Doch am Beginn des Erlösungsprozesses steht die Geistverleihung. Das macht der biblische Apostel Paulus immer wieder deutlich.

Die Kirchen geben Antworten

Die Antworten zum Wann, Wie und Wo fallen in den Kirchen ganz unterschiedlich aus: "Christen haben eine unterschiedliche Auffassung davon, worin das Zeichen der Gabe des Geistes sich ausdrückt", konstatiert die berühmte Lima-Erklärung von 1982, ein Schlüsseldokument ökumenischer Annäherung.

"Verschiedene Handlungen sind mit dem Geben des Geistes in Verbindung gebracht worden", heißt es unter Punkt 17 weiter: "Für einige ist es der Wasserritus selbst. Für andere ist es die Salbung mit Chrisma und/oder die Handauflegung, die von vielen Kirchen Konfirmation genannt wird. Für wieder andere sind es alle drei, da sie in dem ganzen Ritus den Geist wirken sehen."

Die Bibel lässt vieles offen

"Die Auseinandersetzung über den Zeitpunkt, die Bedeutung und die Manifestationsausweise der Ausgießung und des Empfangs des Geistes am Beginn des christlichen Lebens haben ihre Wurzeln im komplexen Zeugnis des Neuen Testaments." Das befindet das gut 9000 Seiten starke Lexikon "Religion in Geschichte und Gegenwart". Soll heißen: Schuld an dem Schlammassel ist die Bibel selbst.

Denn was vor allem die Apostelgeschichte über den Geistesempfang berichtet, das ist nicht eindeutig. Und so finden die Christen unterschiedlicher Zeiten und unterschiedlicher Konfessionen immer wieder neue Anknüpfungspunkte für ihr Verständnis - je nachdem, ob es auf katholisch "Firmung" heißt, auf orthodox "Myron-Salbung" oder auf neuapostolisch "Heilige Versiegelung".

In einem sind sich die Kirchen einig: Jene Kraft, die Menschen mit Gott verbindet, die auf einzelne Menschen fiel oder auch mal ein ganzes Volk verließ, diese Kraft macht Jesus Christus plötzlich verfügbar. Er war der erste, von dem es heißt, dass er mit Geist taufte. Und damit beginnt eine 2000-jährige Abenteuerreise.

(43): Mehr als eine Taufe?

Soviel ist klar: Die Wassertaufe und die Übermittlung des Heiligen Geistes hängen eng zusammen. Doch wie? Dazu liefert das Neue Testament selbst gleich mehrere Antworten. Und die passen nicht immer zusammen.

Es ist ein Muss - das hat Jesus selbst klar gemacht: "Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Johannes 3,5). Logisch, das "Bad der Wiedergeburt" (Titus 3,5), das ist die Wassertaufe - ererbt als Handlung in ihrer Unwiederholbarkeit von Johannes, dem Täufer, der lediglich die Umkehr besiegelte. Doch wie passiert die "Erneuerung im Heiligen Geist"?

Passiv und aktiv

Wie kommt der Gläubige zur Gabe Heiligen Geistes? Durch ein spontanes Ereignis oder durch eine gezielte Handlung? Die Bibel bietet beides.

Das große Vorbild, das Herabfahren des Heiligen Geistes nach der Taufe Jesu am Jordan, passierte einfach so, ohne dass ein Mensch etwas dazu tat - ebenso wie das große Pfingsten in Jerusalem oder die Ereignisse im Hause des Hauptmanns Kornelius in Cäsarea. Zumal in den beiden letzten Beispielen erst der Geist auf die Anwesenden niederkam und sie dann getauft wurden.

Doch in den anderen Taufberichten wird der Heilige Geist entweder nicht ausdrücklich erwähnt oder seine Ankunft steht in einem Zusammenhang mit einer menschlichen Handlung. Und zwar so deutlich, dass es Beobachter als Ursache und Wirkung sehen: Als Simon, der Zauberer, wahrnimmt, dass der Geist gegeben wird, wenn die Apostel aktiv werden, will er sich diese Macht erkaufen.

Einteilig und zweigliedrig

Ist diese Tätigkeit der Vollzug der Wassertaufe? Oder gehört da eine zweite Handlung dazu? Die Bibel erlaubt, beides zu glauben.

So ruft Petrus bei seiner Pfingstpredigt die Zuhörer dazu auf, sich taufen zu lassen. "So werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes" (Apostelgeschichte 2,38). Das klingt doch stark danach, dass Taufe und Geistesspendung quasi zeitgleich passieren.

Es ist allerdings derselbe Petrus, der zusammen mit Johannes eigens nach Samarien geschickt wird, um etwas Unvollendetes zu erledigen. Dort hatte Philippus frühere Anhänger des Zauber-Simons getauft. Doch der Heilige Geist "war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus" (Apostelgeschichte 8,16). Das änderte sich erst, als die Apostel aktiv wurden.

Gesten und Zeichen

Und was taten Petrus und Johannes im Samarien? Das Gleiche wie Paulus bei den Johannesjüngern in Ephesus: Sie legten den Getauften die Hände auf. Das ist der Ritus, den das Neue Testament mit der Geistes-Übermittlung in Verbindung bringt.

Zwar predigte Petrus im Hause des Kornelius davon, "wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist" (Apostelgeschichte 10,38). Vom Einsatz eines Salböls rund um die Taufe berichtet die Bibel allerdings nicht.

So ist die Salbung eher als Sprachbild zu verstehen - ebenso wie die Versiegelung mit dem Heiligen Geist, von dem Epheser 1,13 spricht. Denn das Siegel steht in der Antike als Zeichen für Zugehörigkeit zu einem Eigentümer und dem sich daraus ergebenden Schutz.

Spontan oder gezielt, einheitlich oder zweigliedrig, Versiegelung oder Salbung: Jeder dieser Aspekte findet sich mehr als einmal im Neuen Testament. In den meisten Taufberichte - etwa über den Kämmerer aus Äthiopien, Lydia, den Gefängniswärter in Philippi und den Synagogenvorsteher Krispus in Korinth - bleibt den Heiligen Geist unerwähnt. Die Mehrdeutigkeiten und Lücken lassen Raum für Riten, die sich in der frühen Kirche entwickeln. Darum geht in der nächsten Folge dieser Serie.

(44): Der Taufe zweiter Teil

Wie kommt der Gläubige zum Heiligen Geist? Dazu bleibt die Bibel mehrdeutig und lässt Lücken. Antworten entwickeln sich in der frühen Kirche. Und diese Fundamente stehen bis heute.

Zeichen, es braucht mehr Zeichen: Ja, da ist die Wassertaufe - verstanden als das Ertränken des alten Adams, das Bad der Wiedergeburt, das Eintauchen in den Tod Jesu, das Abwaschen der Sünden. Aber in der Bibel ist auch vom Heiligen Geist samt Siegel und Salbung die Rede. Und was wäre ein Jünger des Christus' (= Messias = Gesalbter) ohne Salbung?

So oder ähnlich liefen die Gedankengänge in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, als eine Entwicklung einsetzte, die dauerhafte Auswirkungen haben sollte.

Von Handauflegung zu Salbung

Der Heilige Geist wird gegeben. Das bezeugt Evangelist Johannes. Das erklärt Briefeschreiber Paulus. Und das zeigen die Handauflegungen in der Apostelgeschichte. So gehört diese Geste schon zu neutestamentlichen Zeiten neben dem Wasserbad mit zum Ritus der Taufe.

Doch schon bald kommt die Salbung hinzu. Das hat seine biblischen Wurzeln zum Beispiel da, wo Jesus die messianischen Jesaja-Worte auf sich selbst bezieht: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat" (Lukas 4,18). Oder wenn Petrus im Hause des Kornelius davon predigt, "wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist" (Apostelgeschichte 10,38).

Mehr als nur Dekoration

Spätestens ab dem dritten Jahrhundert empfängt der Täufling nach der Wassertaufe die Handauflegung des Bischofs, der ihn mit Öl salbt. Das ist der Endpunkt eines viel umfangreicheren Ablaufes vom mehrjährigen Unterricht bis zur mehrtägigen Vorbereitung mit Fasten, Gebeten sowie weiteren Bädern und Salbungen.

Und schon früh wird dieser Akt zur Geistesübermittlung nicht nur als eine dekorative Erweiterung der Taufriten gesehen, sondern als eine theologische Notwenigkeit. Ohne diese Bestätigung gilt die Taufe als unvollendet. So spricht bereits Kirchenvater Cyprian Mitte des dritten Jahrhunderts vom Doppelsakrament.

Die Anbindung ans Apostelamt

Doch es gibt Unterschiede: Während in der lateinischen Westkirche die bischöfliche Handauflegung im Zentrum steht, hat in der griechischen Ostkirche die Salbung den höheren Stellenwert. Und das soll einmal die entscheidende Rolle dabei spielen, welches Amt diese Handlung durchführen darf. So oder so geht es darum, wie das werdende neue Sakrament mit dem apostolischen Amt verbunden ist.

Hier wie da läuft die Amtsautorität zunächst über die "apostolische Sukzession": die ununterbrochene Folge an Ordinationen von Bischöfen durch Bischöfe bis in Zeit der biblischen Apostel zurück. Weil die Handlauflegung an den Bischof gebunden ist, kann aber normalerweise nur ein Bischof die katholische Firmung durchführen. Die orthodoxe Salbung kann hingegen auch ein Priester spenden. Dazu reicht es, wenn ein Bischof das Salböl geweiht hat.

Eintritt im Dreifach-Schritt

Ebenso wie die Frühkirche empfangen die orthodoxen Kirchen den Gläubigen mit einer dreigliedrigen Feier. Auf die Wassertaufe folgt unmittelbar die Chrismation (oder auch Myronsalbung). Dem schließt sich die Kommunion, der Empfang des Abendmahls an - und zwar sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.

Gesalbt wird mit Chrisam, einem geweihten Öl, das mit Dutzenden von Aromastoffen angereichert ist. Im Zeichen des Kreuzes werden damit Stirn, Augen, Nase, Mund, Ohren, Brust, Hände und Füße berieben. Jedes Mal spricht der Priester dabei die Worte: "Siegel der Gabe des Heiligen Geistes".

Während die Taufe die persönliche Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi gibt, gibt die Myronsalbung nach orthodoxem Verständnis die persönliche Teilhabe an der Niederkunft des Heiligen Geistes zu Pfingsten. Durch die Salbung wird der Getaufte zum Laien - einem Mitglied des laós, dem Volk Gottes.

Die Handauflegung zur Geistesmitteilung, die Anbindung dieses Aktes ans apostolische Amt und das Bild des Siegels: Diese Aspekte hat die "Heilige Versiegelung" der Neuapostolischen Kirche aus dem frühen Christentum geerbt. Wo der Status als eigenständiges Sakrament wurzelt, darum geht es in der nächsten Folge dieser Serie.

(45): Eine Taufe, zwei Sakramente

Die Wiedergeburt aus Wasser und Geist: Was als ein Ritus in zwei Teilen begann, das entwickelte sich zu zwei eigenständigen Sakramenten. Auslöser war der überwältigende Erfolg des Christentums.

Jahrhundert vier nach Christus: Es herrschte reger Betrieb in den Baptisterien, den Taufkapellen im Vorfeld der großen Bischofskirchen. So richtig los ging es, als Kaiser Konstantin selbst zum Christentum übertrat und damit den Weg gen Staatsreligion ebnete.

Zusätzlichen Andrang brachte der Trend zur Kindertaufe, die sich bis zum sechsten Jahrhundert überall durchsetzte. Hier war es Kirchenvater Augustinus, der mit seiner Erbsünden-Lehre die theologischen Fundamente legte.

Diese Entwicklungen verändern den zweigliedrigen Ritus der Taufe: Auf die Wassertaufe - meist durch einen Priester - folgte bis dahin unmittelbar die Handauflegung und Salbung durch den Bischof - als Bestätigung (lateinisch "confirmatio").

Priester kann nicht immer helfen

Priester standen in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Doch irgendwann konnten die Oberhirten den wachsenden Andrang nicht mehr bewältigen. Das lösten die Kirchen im Osten und Westen des Römischen Reiches ganz unterschiedlich.

In der Ostkirche genoss schon seit langem die Salbung einen höheren Stellenwert als die Handauflegung. Deshalb reichte es den Klerikern dort, wenn das Salböl von einem Bischof geweiht war. Er selbst musste bei der Taufe nicht mehr anwesend sein. Genauso praktizieren es die orthodoxen Kirchen bis heute.

Im römischen Westen lag die Sache etwas anders. Wichtiger war hier - biblischen Vorbildern folgend - die Handauflegung durch das Amt, das die lehrmäßige Verbindung zu biblischen Aposteln sicherstellen sollte. Die Handlung konnte der Bischof also nicht an Priester abgeben.

Eine Frage der Zeit

Weil immer mehr Gemeinden entstanden, kam die Herde bald nicht mehr zum Hirten, sondern der Hirte zur Herde: Der Bischof bereiste die immer zahlreicheren Pfarrgemeinden seines Berittes. Und es konnte Tage, Wochen, sogar Jahre dauern, bis er mal wieder an den gleichen Ort kam.

So fielen die Wassertaufe und die Handauflegung/Salbung zeitlich immer weiter auseinander. Aus dem Ritus der "confirmatio" wurde das eigenständige Sakrament der "Firmung". Die Scholastiker bauten im Mittelalter das theologische Gerüst dazu. Dieses Verständnis zementierte sich, als die Reformatoren am Lehrgebäude rüttelten.

Im Laufe der Jahrhunderte pendelte das Alter der Firmlinge beträchtlich: irgendwo zwischen vier und sechszehn Jahren, meistens aber so ums siebte Lebensjahr. Heute gilt das "Alter des Vernunftgebrauchs", also der Entscheidungsfähigkeit. Wann genau das ist, liegt im Ermessen der nationalen Bischofskonferenzen.

Geistverleihung und Gotteskindschaft

"Die Firmung vollendet die Taufgnade", heißt es heute im Katechismus der Katholischen Kirche. "Sie ist das Sakrament, das den Heiligen Geist verleiht." Das soll die Gläubigen "in der Gotteskindschaft tiefer verwurzeln", die "Verbindung mit der Kirche stärken" und dabei helfen, "in Wort und Tat für den christlichen Glauben Zeugnis zu geben".

Zum Vergleich: "Bei der Heiligen Versiegelung wird der Mensch bleibend mit Heiligem Geist erfüllt", heißt es im Katechismus der Neuapostolischen Kirche. Damit "wird die durch Gott in der Wassertaufe begonnene Wiedergeburt aus Wasser und Geist vollendet." Und: "Auswirkung ist die Gotteskindschaft sowie die Berufung zur Erstlingsschaft. Gibt der Versiegelte dem Heiligen Geist Raum zur Entfaltung, entwickeln sich göttliche Tugenden."

Mit der katholischen Firmung hatten die protestantischen Reformatoren so ihre Probleme. Und dennoch entwickeln sie etwas Ähnliches: die evangelische Konfirmation. Erst später verändert sich der Inhalt dieser Handlung. Darum geht es im nächsten Teil der nac.today-Serie

(46): Die andere Zweiteilung

Nur ein paar ruhige Jahrhunderte waren der katholischen Firmung als Sakrament beschieden. Dann kamen die Reformatoren, um die christliche Initiation allein auf die Taufe zurückzuführen - und stifteten dennoch ihre eigene Konfirmation.

Das Sakrament, das die Vollendung der Taufe darstellt und "die Ausgießung des Heiligen Geistes in Fülle bewirkt": So definiert der Katechismus der Katholischen Kirche die Firmung (KKK 1302/1304). Das hat sich aus einem zweigliedrigen Ritus der Taufe entwickelt, den schon die frühe Kirche kannte.

Doch mit derlei Lehre hatten die Reformatoren im frühen 16. Jahrhundert so ihre Probleme - und zwar mindestens drei:

Vor allem Letzteres wusste Martin Luther in seiner Kampfschrift "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" zu beharken: "Ja, wenn es nur in der Kirche eine solche Auflegung der Hände wie zu der Apostel Zeiten gäbe!", schrieb er 1520. "Es ist aber jetzt nichts davon übriggeblieben, außer was wir selbst erfunden haben, die Ämter der Bischöfe auszubauen, damit sie nicht ganz ohne Arbeit in der Kirche sind."

Kompromiss zum Taufstreit

Gleichwohl erfanden die Reformatoren ihre eigene "Konfirmation". Was das mit der "Firmung" zu tun hat? Nun, in fast jeder anderen Sprache steht hier das gleiche Wort. Denn beide Wörter gehen auf das lateinische "confirmatio" zurück: Bestätigung, Bekräftigung, Festigung.

Und diese Erfindung kam so: Wie so oft bei Revolutionen saß auch dem reformatorischen Mainstream noch extremere Fundamentalisten im Nacken. "Wiedertäufer" wurden sie in diesem Fall genannt. Sie lehnten die Kindtaufe ab und tauften die Erwachsenen neu, weil nur letztere sich bewusst für Christus entscheiden könnten.

Im Konflikt zwischen Protestanten und Wiedertäufern vermittelte Martin Bucer, ein führender Reformator aus Straßburg: Vor der ersten Teilnahme am Heiligen Abendmahl sollte der Nachwuchs die Kirchenlehre lernen und sich dann vor der Gemeinde zum Glauben bekennen - ein nachträgliches "Ja" zur Taufe. Die evangelische Konfirmation war geboren.

Segenshandlung im Wandel

Ja, die reformierte Konfirmation ist kein Sakrament mehr, sondern eine Segenshandlung. Doch inhaltlich steht sie der katholischen Firmung zumindest anfangs noch sehr nah. Das zeigt die liturgische Formel, die Martin Bucer in der "Ziegenheiner Zuchtordnung" von 1538/39 erstmals kirchenrechtlich bindend formulierte: "Nehmet hin den Heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten ..."

Mit der Zeit verschob sich der Schwerpunkt immer wieder mal: Im Pietismus, einer der wichtigsten Reformbewegungen innerhalb des Protestantismus, stand ab dem 17. Jahrhundert das Gelübde im Mittelpunkt. Und mit der Aufklärungstheologie des 18. Jahrhunderts rückte die Eigenschaft als Übergangsritus von der Unmündigkeit zur Eigenverantwortlichkeit ins Zentrum. Und das war so prägend, dass selbst ein atheistischer Staat wie die DDR einen Ersatz in Form der "Jugendweihe" brauchte.

Das frühreformatorische Konfirmationskonzept des Martin Bucer fand schnell seinen Weg in das "Book of Common Prayer", das Liturgiebuch der anglikanischen Kirchen in Großbritannien. Diese Mischung aus katholischen und evangelischen Elementen fand jene Bewegung vor, die dort im 19. Jahrhundert entstand: die Katholisch-apostolischen Gemeinden. Davon handelt die nächste Folge dieser Serie.

(47): Der kanalisierte Geist

1840/41 war's passiert: Die Apostel-Einheit zerbrach, der Masterplan zerfiel. Jetzt musste sich die charismatische Bewegung als Kirche neu erfinden - die Vorgeschichte der "Versiegelung" in den Katholisch-apostolischen Gemeinden.

Auslöser war der Konflikt mit dem "Rat von Zion", dem Konzil der sieben Londoner Gemeinden. Angeregt durch Prophezeiungen um das Jahr 1838 sahen einflussreiche Amtsträger ihr Gremium als Kirchenparlament und das Apostolat als ausführendes Organ. Die Apostel hingegen sahen sich als Kirchenleitung und den Rat als Berater.

An der Situation waren die Apostel mit schuld: Nach ihrer Berufung hatten sie sich erst zur Klausur in Albury vergraben und waren dann ausgeschwärmt, um Missionsländer zu erkunden. So waren die Gründergemeinden jahrelang sich selbst überlassen.

Jetzt füllten die Apostel das Machtvakuum. Sie kehrten zurück nach Hause, unterbanden weitere Ratssitzungen und verboten Amtsträgern, auf Weissagungen zu reagieren. Zudem diktierten sie Bedingungen dafür, ihren Dienst fortzusetzen. Erstmals handelten die Apostel, ohne auf prophetische Impulse zu warten. Das Konzil beugte sich. Doch dieser Erfolg kostete einen hohen Preis.

Amt beinahe ohne Auftrag

Der Apostelkreis verlor ein Mitglied, seine Handlungsfähigkeit und seine langfristige Perspektive: Duncan MacKenzie hielt das Kollegium für noch nicht zu solchen Maßnahmen berechtigt - zumindest nicht in dieser Phase des prophetisch angekündigten Planes Gottes mit der Kirche. MacKenzie stieg komplett aus.

Damit war das prophetische Gebot, immer einstimmig zu handeln, praktisch nicht mehr erfüllbar. Und die letzte Phase nach Berufung und Aussonderung der Apostel, nämlich deren Aussendung - in einer neu ausgegossenen Vollmacht des Heiligen Geistes - rückte in unbekannte Ferne.

Damit gingen die Apostel ganz unterschiedlich um: Henry Drummond hielt Kirche nicht mehr für machbar und setzte aufs Gemeindeleben. Thomas Carlyle hoffte weiter auf die Aussendung und versuchte die Zwölfzahl der Apostel zu erneuern. Und John Bate Cardale, der "Pfeiler" im Kollegium, verstärkte seine Anstrengungen, Kirche zu bauen.

Den Geist neu belebt

Der Anwalt arbeitete eine ausgefeilte Liturgie aus. Premiere feierten die neuen Gottesdienst-Formen samt entsprechenden Gewändern 1842. Doch diese Idee stieß auf wenig Gegenliebe, manchmal auch auf Widerstand - selbst im Apostelkreis. Ein Vorwurf lautete: So wie Gewänder den Körper bänden, binde Liturgie den Geist.

Unterdessen beklagten sich die Vorsteher bei den Aposteln über einen Mangel an bewusstem geistlichen Leben sowie über ein Gefühl der Leere in den Gemeinden. Wegen der Schwierigkeiten und Enttäuschungen seien die Zahl der Mitglieder geschrumpft.

In dieser Lage hielten die Apostel die Zeit für gekommen, die "Versiegelung" einzuführen. Schon 1835 hatte Pfeiler-Prophet Edward Oliver Taplin die Geistesspendung als Aufgabe der Apostel bezeichnet. Und auch das "Große Testimonium", die grundlegende Zeugnisschrift von 1837, erwähnt die apostolische Handauflegung. Jetzt, 1847, geht es ganz schnell.

Von innen nach außen

Die Versiegelungskampagne ab 31. Mai 1847 folgt einem bestimmten Muster: Erst kommen Cardales drei engste Mitarbeiter im Amt des Propheten, Evangelisten und Hirten dran, dann die sieben Vorsteher der Hauptgemeinden und schließlich die Mitglieder der Zentralgemeinde. Die Handlungen beginnen in London, breiten sich weiter aus in England sowie nach Schottland und erreichen dann Kanada sowie Deutschland (17. Oktober 1847).

Die Handauflegung wirkt. In den Gemeinden weicht die Apathie neuem Leben. Spätestens jetzt ist aus der charismatischen Bewegung mit ihren spontanen, oft unberechenbaren Geistesblitzen eine wohlgeordnete Kirche geworden.

Die Apostelhand kanalisierte den Heiligen Geist. Das zeigt sich erst recht im theologischen Verständnis der Katholisch-apostolischen Gemeinden von Versiegelung. Darum geht es in der nächsten Folge dieser Serie.

Einen umfassenden Überblick zur Geschichte der Katholisch-apostolischen Gemeinden bietet die Broschüre "Unterwegs zur Neuapostolischen Kirche" von Dr. Manfred Henke, die sich auf nak.org herunterladen lässt.

(48): Der doppelte Geist

Vom spontanen Geistesblitz zur ordnenden Apostelhand: So entwickelte die Katholisch-apostolische Kirche ihre Versiegelung. Die theologische Begründung entfaltete sich erst im Laufe der Zeit - und das nicht immer einheitlich.

Die Taufe, das ist die vollständige Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Und sie bewirkt die Gotteskindschaft. So sah es 1837 das gewichtigste apostolische Glaubensbekenntnis der Neuzeit, das "Große Testimonium" der englischen Apostel.

Wofür braucht es da noch die 1847 eingeführte Versiegelung? Antwort gibt der Katechismus der Katholisch-apostolischen Kirche (Frage 47) - oder auch nicht. Denn dort ist von "Versiegelung" keine Rede, sondern von der "Handauflegung der Apostel".

Es gibt mehr

Mit dieser Handlung wird den Gläubigen "die Gabe des Heiligen Geistes ausgespendet". Dadurch werden sie "gestärkt und gekräftigt, gesalbt und versiegelt". Das liest sich noch ziemlich nach der bischöflichen Firmung in der katholischen oder anglikanischen Kirche.

Doch die apostolische Handauflegung bringt den Gläubigen mehr: "Der Heilige Geist teilt darinnen Seine Gaben aus." Die da wären: das Wort der Erkenntnis, Glauben, Gaben der Heilung, Wunderwirkung, Weissagung, Unterscheidung der Geister, Zungenrede und schließlich deren Auslegung.

Es dient allen

"Solches alles wirket der eine und selbige Geist und teilt aus, einem jeglichen" Gläubigen - und zwar ganz individuell. Allerdings mit einem übergeordneten Zweck: "zum Nutzen aller". Anders gesagt: Die Handauflegung rüstet alle "Glieder der Kirche" mit genau den Gaben des Heiligen Geistes aus, die sie für ihren jeweiligen Dienst brauchen.

Wohlgemerkt, sowohl die Taufe als auch die Versiegelung vermittelten nach katholisch-apostolischen Verständnis die Gabe des Heiligen Geistes: Die Taufe spendete den "Geist des Lebens", die Versiegelung schenkte den "Geist der Kraft".

Es entwickelt sich

In zahlreichen Schriften entwickelten Apostel und Theologen diese Grundlagen weiter - ganz gerne auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Das fängt schon beim Namen an. Manche nutzten "Versiegelung" synonym zu "Handauflegung". Andere sahen im Ersten nur einen Teilaspekt des Zweiten.

Das geht mit dem eigentlichen Ritus weiter: Zur apostolischen Handauflegung, die vor dem Altar kniend empfangen wurde, kam die Salbung der Stirn mit Öl dazu. Und das hört mit dem Stellenwert nicht auf: Vom unentschlossenen "ein Sakrament oder eine heilige Handlung" des Katechismus' ging es in Richtung Sakrament - allerdings nicht so ganz auf Augenhöhe mit den Hauptsakramenten Taufe und Abendmahl.

Es geht nicht ohne

Eindeutig war der gemeinsame Lehrtrend in Sachen Heilsnotwendigkeit: Demnach ist die Versiegelung ein Muss zur Vollendung der Taufe, stellt das Unterpfand künftiger Herrlichkeit dar, befähigt zur Teilhabe an der Ersten Auferstehung und errettet somit von der großen Trübsal. Ohne sie kann die Kirche nicht für die Wiederkunft des Herrn bereitet werden, formulierte es der Verfasser des Katechismus später in seinen Erläuterungen dazu.

Zwei Voraussetzungen gab's für die Versiegelung: Der Empfänger gleich welcher Konfession mussten getauft sein und in Anlehnung an mosaische Gesetze mindestens 20 Jahre alt sein. Kinder wurden nicht versiegelt - ganz im Gegensatz zur Neuapostolischen Kirche. Welche Entwicklungen es hier gab, damit beschäftigt sich der nächste Teil dieser Serie.

(49): Zwischen Wasser und Geist

Die Heilige Versiegelung, ein Erbe aus der Katholisch-apostolischen Kirche? Das Wort vielleicht, aber nicht unbedingt das, was man darunter versteht - die Wendungen in der Geschichte der Neuapostolischen Kirche.

Spätestens ab 1951 liegen sie meilenweit auseinander - die "Versiegelung" nach katholisch-apostolischem Verständnis einerseits und nach neuapostolischer Auffassung andererseits. Alles, was zuvor der Taufe zugeordnet war, gilt nun als Wirkung der Versiegelung: der Empfang des Heiligen Geistes, die komplette Wiedergeburt aus Wasser und Geist, die Gotteskindschaft, ja selbst die Eingliederung in den Leib respektive die Kirche Christi.

Das katholische-apostolische Vielleicht-Sakrament hat sich zum identitätsstiftende Hauptsakrament entwickelt, das nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern gespendet wird. Und das ist keine Erfindung der Ära von Stammapostel Bischoff. Das geht zurück auf die frühen Tage jener Glaubensgemeinschaft, die einmal Neuapostolische Kirche heißen sollte.

Die andere Versiegelung

Juli 1886 - drei deutsche Apostel Menkhoff, Krebs und Niemeyer schreiben an den letzten noch lebenden englischen Apostel Woodhouse und werben für eine Art Wiedervereinigung. Schon da zeigen sich Unterschiede: "Die Versiegelung bezweckt etwas Anderes und Höheres" als die Bekräftigung der Taufe." Genannt werden der Empfang des Heiligen Geistes und die Zugehörigkeit zum Leib Christi, zur Gemeinde des Herrn.

Dabei greifen die drei Briefschreiber auf das zurück, was Apostel Schwarz schon ein bis zwei Jahrzehnte zuvor formulierte oder praktizierte - formuliert in seinem "Buch für unsere Zeit" von 1872 und praktiziert mit der Versiegelung von Kindern ab Ende der 1860er Jahre. Als offizielle Lehre traten diese Vorgaben aber über Jahrzehnte nicht in Erscheinung. Das ändert sich erst in den 1930er Jahren.

Die stärkere Taufe

Die Taufe macht Gläubige zu Gotteskindern. Und mit diesem Sakrament ist die Wiedergeburt aus Wasser und Geist abgeschlossen. So lehren es die Schriften von der "Epistel über die Wassertaufe" (1890) über die Glaubensartikel im "Hülfsbüchlein" (1908) bis hin zum Geschichtsbuch "Alte und Neue Wege" (1912).

Anders - nämlich wie in der Zeit vor Stammapostel Niehaus - klingt das ab 1919 in den "Cirkularbriefen" an die Amtsträger im Apostelbezirk Frankfurt: Da ist es die Versiegelung, welche die Wiedergeburt komplettiert und die Gotteskindschaft schenkt. 1930 tritt der Briefschreiber - Johann Gottfried Bischoff - das Stammapostel-Amt an.

Das Hauptsakrament

Schritt um Schritt werden die neuen alten Positionen als offizielle Lehre publiziert: Zwei Beiträge in der "Wächterstimme" (Herbst 1931) und die Ausführungen im Buch "Die Ämter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche" (1935) sind die Zwischenstationen auf dem Weg zu den neuen Glaubensartikeln in den "Fragen und Antworten" von 1938.

Da geht dann noch etwas durcheinander. Denn in diesem Büchlein finden sich gleichzeitig altes und neues, weites und enges Taufverständnis. Doch dieser Widerspruch ist mit der Überarbeitung von 1951 getilgt. Jetzt versteht sich die Neuapostolische Kirche als die alleinige Kirche Christi. Und das bleibt so gut 50 Jahre lang.

2006, 2010, 2012: Das sind die Stationen für das neue Selbstverständnis der Neuapostolischen Kirche. Was das für das Sakrament der Heiligen Versiegelung besagt, darum geht es im nächsten Teil dieser Serie.

(50): Die zweigliedrige Taufe

Durch die Heilige Versiegelung - so lautet die Antwort der Neuapostolischen Kirche auf die Frage: Wie kommt der Christ zum Heiligen Geist? Das aktuelle Sakramentsverständnis und seine Anknüpfungspunkte in Bibel und Kirchengeschichte.

Die neuapostolischen Sakramente haben ihren Grund im Leben und Handeln Jesu Christi. Das gilt nicht nur für die Heilige Wassertaufe und das Heilige Abendmahl, sondern auch für die Heilige Versiegelung.

Wassertaufe und Geistestaufe

Denn sowohl Johannes 1,29-34 als auch Matthäus 3,16 berichten, dass nach der Taufe Jesu der Geist Gottes auf ihn herabfuhr. Dass die Heilige Versiegelung dort ihr Vorbild findet, liegt auch an Apostelgeschichte 10,37.38, die darauf verweist "wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist".

In dem Geschehen am Jordan "sind zwei unterschiedliche Akte wahrnehmbar", begründet der Katechismus der Neuapostolischen Kirche (KNK 8.3.3) die Gliederung der Wiedergeburt aus Wasser und Geist in zwei Sakramente. Auch die verschiedenen Schilderungen in der Apostelgeschichte machen deutlich: Die Gabe des Heiligen Geistes wurde gespendet, nachdem die Wassertaufe vollzogen war.

Die Bausteine des Sakraments

Dem gemeinsamen Bauplan aller Sakramente folgend, definieren sich die vier Ecksteine Glaube, Spender, Zeichen und Inhalt bei der Heiligen Versiegelung folgendermaßen:

"Gotteskindschaft in diesem Sinne" heißt laut Katechismus "jene Situation des Menschen vor Gott, die durch den Empfang aller Sakramente, durch den Glauben an die rechte Predigt des Evangeliums und die Ausrichtung des Lebens auf die Wiederkunft Christi gekennzeichnet ist." Als "Erstlingsschaft" wird die Gesamtheit derjenigen bezeichnet, die Jesus Christus bei seiner Wiederkunft zu sich nimmt. Sie ist identisch mit der "Brautgemeinde" (KNK 10.1.3).

Allerdings: In den Leib, respektive in die Kirche Christi eingefügt, ist der Mensch bereits mit der Heiligen Wassertaufe. Denn die Taufe mit Wasser und in Namen des dreieinigen Gottes verbindet alle Christen miteinander (KNK 8.1.6).

Chrismation, Firmung, Versiegelung

Der Weg zum ausgewachsenen Christen über mehrere Stationen - das kennen auch die katholischen und orthodoxen Kirchen, nach Mitgliederzahlen gut 70 Prozent aller Christen weltweit:

Der Name "Versiegelung" für das Sakrament der Geistesmitteilung stammt aus der Katholisch-apostolischen Kirche. Deren Verständnis der apostolischen Handauflegung als Bekräftigung der Taufe hat sich aber in der noch werdenden Neuapostolische Kirche schon früh in die heutige Richtung entwickelt.

(51): Zwei Handvoll Geistesgabe

Die Versiegelung - ein Sakrament mit Geschichte. Und die Wurzeln reichen bis in die ersten christlichen Jahrhunderte zurück: Der Überblick über die zehn Serien-Folgen zu diesem Thema - und der Ausblick, auf das, was noch kommt.

Es ist ein Muss - das hat Jesus selbst klar gemacht: "Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Johannes 3,5). Logisch, das "Bad der Wiedergeburt" (Titus 3,5), das ist die Wassertaufe.

Doch wie kommt der Christ zum Heiligen Geist? Diese Fragen stellen sich Christen zu allen Zeiten und in alle Konfessionen. Durch das Sakrament der Heiligen Versiegelung - so lautet zumindest die Antwort der Neuapostolischen Kirche.

Das ist eine von vielen unterschiedlichen Antworten aus dem christlichen Spektrum. Die einen verstehen Geistestaufe als spontanes, von Menschen nicht steuerbares Ereignis. Und die anderen sehen darin die eine oder andere Handlung von Menschenhand.

Diese Vielfalt ist schon in der Bibel angelegt. Denn das Neue Testament gibt gleich mehrere Antworten auf die Frage nach der "Erneuerung im Geist". Und die passen nicht immer zusammen.

So entwickelt die frühe Kirche ihren mehrteiligen Taufritus. Dazu gehört neben dem Wasserbad aus den Evangelien auch die Handauflegung aus der Apostelgeschichte und die Salbung mit Öl. Letztere verweist auf Jesus Christ als den Messias, also den Gesalbten.

Im römischen Westen sind Handauflegung und Salbung eng ans Bischofsamt gebunden. Doch deren Träger können ab dem vierten Jahrhundert nicht mehr überall dort sein, wo Priester taufen. So koppelt sich die katholische Firmung als eigenständiges Sakrament ab.

Damit hatten die Reformatoren im frühen 16. Jahrhundert so ihre Probleme. Gleichwohl entwickeln sie ihre eigene Konfirmation - in der Christen im mündigen Alter ihre Taufe aus den Kindertagen bestätigen.

Die Katholisch-apostolischen Gemeinden erleben Geistestaufe anfangs als individuelle Geistesblitze. Das stiftet erst Euphorie, dann Ernüchterung. Als zudem ein erhofftes, pfingstartiges Kollektivereignis ausbleibt, nehmen die Apostel die Sache selbst in die Hand.

1847 führt die Katholisch-apostolische Kirche die "Handauflegung der Apostel" ein, alternativ auch "Versiegelung" genannt. Die theologische Begründung entfaltete sich erst im Laufe der Zeit - bis hin zur Heilsnotwendigkeit.

Das katholisch-apostolische Vielleicht-Sakrament entwickelt sich in der werdenden Neuapostolischen Kirche zu einem identitätsstiftenden Hauptsakrament. Hier geht es nicht mehr nur um die stärkende, sondern um die primäre Geistesmitteilung.

Die neuapostolischen Sakramente haben ihren Grund im Leben und Handeln Jesu Christi. Und das gilt auch für die Versiegelung. Das sorgfältig hergeleitete aktuelle Verständnis legt der Katechismus im Detail dar.

Nach den Grundlagen der Sakramentenlehre und den drei neuapostolischen Sakramenten widmet sich die nac.today-Serie in den kommenden Folgen nun einem fünften Themenfeld: den Sakramenten für Entschlafene.

(52): Nicht nur hier - auch dort!

Tote sind gar nicht tot. Jedenfalls nicht für Gott. Für Gott gibt es keine Trennlinie zwischen irdischem und ewigem Leben. So glauben es die Christen, und so berichtet es die Bibel. Ein Überblick über das sakramentale Handeln für Verstorbene.

"Hinabgestiegen in das Reich des Todes" heißt es im Apostolikum. Diese "Höllenfahrt" Christi (lat. descensus) geschah aus einem einzigen Grund: Denen das Evangelium nahezubringen, die zu ihrer Lebzeit nicht glauben konnten. Daraus entwickelte sich in der Urkirche ein Ritus: "Was machen denn die, die sich für die Toten taufen lassen? Wenn die Toten gar nicht auferstehen, was lassen sie sich dann für sie taufen?" (1. Korinther 15,29).

Für Tote an Lebenden

Dies ist eine exegetisch umstrittene Stelle, was aber nicht dazu führen darf, sie gänzlich zu verwerfen. Einige Bibelausleger vermuten darin eine gnostische Praxis, also einen sektiererischen Brauch. Für andere ist die Stelle ein positiver Beweis für eine in Korinth bezeugte Praxis, die in denselben theologischen Kontext gehört, wie der Bericht vom Abstieg Christi in das Totenreich. Christen in Korinth praktizierten die Totentaufe, stellvertretend an Lebenden. Wie man diese ikariatstaufe theologisch beschreibt, ist sehr interessant: Der Grundgedanke ist die "Stellvertretung" und damit die heilswirksame Anrechnung für den, der den Akt nicht vollzieht - etwa so, wie es bis heute das stellvertretende Gebet gibt. Dieser Auslegung schließt sich der neuapostolische Katechismus an.

Verborgen und sichtbar

Und da die Kirche Christi eine verborgene Seite hat, in der Diesseits und Jenseits miteinander verwoben sind und in deren offensichtlicher Gestalt das Apostelwirken eine große Bedeutung hat, spenden heute die neuapostolischen Apostel die Sakramente in ihrer vollen Gestalt - also auch im Bereich der Entschlafenen: "Die rechte Sakramentsverwaltung obliegt den Aposteln. Sie sind von Christus beauftragt, die Sakramente in sachgemäßer Weise zugänglich zu machen. Auch wenn nicht alle Sakramente von ihnen oder den von ihnen Beauftragten gespendet werden, stehen Sakramente doch in einem apostolischen Bezug" (KNK 8).

Hier und dort

Wie eng sich die Lehre von der verborgenen und sichtbaren Kirche Christi im neuapostolischen Gemeindeleben widerspiegelt, bezeugt der KNK in 9.3: "Jesus Christus ist Herr über Tote und Lebende; sein Evangelium gilt beiden gleichermaßen. Es liegt im Willen Gottes, dass allen Menschen geholfen wird, das heißt, Gottes Heilswille ist universal. Zuwendung von Heil geschieht durch die Predigt, die Vergebung der Sünden und die Sakramente. Dies alles ist auch den Entschlafenen zugedacht. Für sie gilt wie für die Lebenden, dass der Glaube an Jesus Christus unerlässlich zur Erlangung des Heils ist. Die Erlösung geschieht einzig durch Jesus Christus." Allerdings, und das ist eine Grundannahme, die für alle Sakramente gilt, kann sakramentales Handeln nur im Bereich des Sichtbaren vollzogen werden. Der Entschlafenen wird also stellvertretend gedacht und doch ist die Wirkung der Sakramente als wesentliche Elemente der Heilsvermittlung für Lebende und Tote gleich.

Dreimal im Jahr

Wie das liturgisch abläuft, erklärt der KNK in 12.1.13: "Dreimal jährlich - jeweils am ersten Sonntag im März, Juli und November - finden Gottesdienste für Entschlafene statt. Im Hinblick darauf beten die neuapostolischen Christen auch dafür, dass unerlöst Verstorbene das Heil in Christus finden."

In den Gottesdiensten für Entschlafene, die der Stammapostel und die Bezirksapostel durchführen, empfangen zwei Amtsträger die Sakramente stellvertretend für Verstorbene. Die Spendung der Sakramente wird dabei in der gleichen Weise vollzogen, wie auch sonst üblich. "In den übrigen Gemeinden wird nach der Feier des Heiligen Abendmahls in einem besonderen Gebet der Entschlafenen gedacht."

In wenigen Worten

(53): Unterwegs zur Unsterblichkeit

Sakramente für Entschlafene? Das wäre nicht denkbar ohne die Unsterblichkeit der Seele. Doch dieser Gedanke findet sich in der Bibel nur in Ansätzen - wie das heutige Verständnis vom Leben nach dem Tod geboren wurde.

"Nefesch" - so heißt der hebräische Begriff, der im Alten Testament am häufigsten als "Seele" übersetzt wird. Das kommt von der "Kehle" als Atemorgan und dem "Aufatmen" als Tätigkeit. Aber mit Seele, wie wir sie heute verstehen, hat das Wort wenig zu tun.

Die Bandbreite der Bedeutungen reicht vom Atem als Lebenskraft über das Gemüt als Sitz der Gefühle bis zum Synonym fürs "Ich". Auf jeden Fall bilden Körper und Seele eine Einheit. Und ein Konzept vom Fortleben nach dem Tod gibt es zunächst gar nicht.

Doch das ändert sich, als die Juden nach dem Untergang ihres Königreiches in die Diaspora gehen und sich vorwiegend nach Ägypten und Kleinasien ausbreiten. Dort übernehmen sie das Griechische als Standardsprache und übersetzen ihre Heiligen Schriften. Die "Septuaginta" entsteht.

Ein Wort ändert das Denken

"Psyche" - so heißt die Griechisch-Vokabel für "nefesch". Auf den ersten Blick passt das auch prima: Ursprünglich bedeutet das Wort "Atem" und meint auch so viel wie "Lebenskraft". Aber als die Juden den Begriff übernehmen, hat sich die Bedeutung schon verändert.

Schuld daran ist die Orphik, ein griechischer Mysterienkult. Dort ist die Seele ein im Körper gefangenes Stückchen Göttlichkeit. Die Idee baut Philosoph Platon aus: Körper und Seele sind ein Gegensatz. Die Seele ist wertvoller, denn sie hat göttliche Natur und ist unsterblich.

Mit dem Begriff "psyche" wandert auch diese Denke ins Judentum ein. Das zeigt sich in den späten Schriften des Alten Testaments wie Daniel oder Weisheit Salomos und in den zwischentestamentlichen Büchern (auch "Apokryphen" tituliert). Allerdings versteht sich Unsterblichkeit hier nicht als durchgehende Existenz, sondern als Auferstehung.

Vom Wieder zum Weiter

Diese Linie setzt sich im Neuen Testament fort: Die Auferstehung, das Wiederleben nach dem Tod - das ist für die Pharisäer schon Glaubensgrundsatz. Das Weiterleben nach dem Tod implizieren hingegen die Gleichnisse Jesu vom reichen Kornbauern und vom armen Lazarus: Auch im Jenseits bleibt die Persönlichkeit erhalten, kann sich selbst und andere wahrnehmen. So verändert sich das Verständnis von Sprecher und Zuhörern.

In nachtestamentlicher Zeit fusionieren griechische und jüdische Ideen zu einem frühchristlichen Miteinander: Die Unsterblichkeitslehre bereitet dem Auferstehungsglauben den Weg. Und die göttliche Natur der Seele passt gut zusammen mit der Gottesebenbildlichkeit aus der Schöpfungsgeschichte.

Zurück zur Leibhaftigkeit

Eine systematische Lehre entwickelt sich erst bis ins Mittelalter: Meilensteine setzen - mal wieder - Kirchenvater Augustinus und Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Der eine sieht die Seele als den eigentlichen Menschen. Der andere findet die Identität eines Menschen in der Einheit aus Körper, Seele und Geist, die im Tod nach dem Auferstehungsleib strebt.

An dieser Lehre hat die Katholische Kirche in ihrem Katechismus bis heute im Kern festgehalten. Die evangelische Theologie hat sich hingegen überwiegend vom Konzept der Unsterblichkeit der Seele verabschiedet und erwartet ein Leben nach dem Tod allein durch Auferstehung.

Für die Neuapostolische Kirche ist klar (KNK 3.3; KNK 9): Nach dem Tod bleibt die Personalität des Menschen durch Geist und Seele erhalten. Diese Unsterblichkeit hat Gott geschenkt mit der Ebenbildlichkeit. Oder kurz gesagt: "Am ,Du' Gottes wird der Mensch zum ,Ich'."

Sakramente für Entschlafene - geht das überhaupt? Das hängt von den Jenseitsvorstellungen ab. Damit beschäftigt sich die nächste Folge dieser Serie.

(54): Chancen jenseits des Lebens

Sakramente für Entschlafene? Das ergibt nur Sinn, wenn sich Menschen im Tod noch ändern können. Gemessen an der Lehre ihrer Kirche glaubt die Mehrheit der Christen an eine Chance im Jenseits. Doch es gibt große Unterschiede.

Wie sieht's denn aus im Jenseits? Düster - so zumindest lautet die ursprüngliche Antwort im Alten Testament. In der Unterwelt, genannt "Scheol", dämmern die Toten allesamt vor sich hin.

Schon bald entwickelt sich jedoch die Überzeugung, dass gute und schlechte Menschen ein ganz unterschiedliches Los erwartet. Das setzt sich fort bis ins Neue Testament, wie das Gleichnis vom armen Lazarus zeigt.

Wohin bis zur Auferstehung?

Die Grenze zwischen Leben und Tod ist fließend: Es gibt Entrückungen und Auferweckungen. So entwickeln späte Schriften des Alten Testaments die Hoffnung auf eine allgemeine Auferstehung - zumindest der Gerechten. Das verstärkt sich mit der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische.

Dabei wächst der "Scheol" mit dem "Hades", der griechischen Unterwelt, zusammen - zu einem Wartestand zwischen Tod und Auferstehung. Hinweise darauf, dass die Seele sich dort noch verändern kann, finden sich allenfalls in zwischentestamentlichen Büchern.

Zur Zeit Jesu streiten progressive Pharisäer und konservative Sadduzäer noch. Doch die Christen übernehmen die Konzepte von Himmel für die Guten und Hölle für die Schlechten sowie der Zwischenexistenz zwischen Lebensende und Weltende.

Eine zweite Chance

Die Kirchenväter des römischen Westens führten noch einen dritten Zwischenzustand ein: das "Fegefeuer". Kerngedanke war, dass kaum ein Mensch so gut oder schlecht sein kann, vor dem jüngsten Gericht auf ewig verurteilt zu werden. So sollte der Durchschnittssünder die Chance bekommen, sich reinzuwaschen. Die Dauer der Läuterung lässt sich verkürzen, wenn Lebende für die Toten beten, an Messen teilnehmen oder wohltätige Werke tun.

Das ist auch heute noch Lehre der katholischen Kirchen. Allerdings betonen die Theologen, dass Himmel und Hölle keine Orte sind, sondern Seelenzustände - abhängig von der Nähe oder Ferne zu Gott. Und beim Fegefeuer sind es Reue und Sehnsucht, die brennen.

Die zweite Chance für alle

Die orthodoxen Kirchen lehren die Existenz von Paradies und Hölle. Auch hier geht es nicht um Orte, sondern um Seelenzustände: einerseits die Glückseligkeit aus der Überfülle an Liebe in der Verbindung zu Christus, andererseits das Leiden aus der fehlenden Teilhabe an Gott.

Diese Zustände sind vorläufig und veränderbar. Die Gebete der Lebenden, besonders im Rahmen der Abendmahlsfeier, können den Toten helfen. Die katholische Lehre vom Fegefeuer lehnen die orthodoxen Kirchen ab. Unter anderem auch deshalb, weil dort nur für einen Teil der Verstorbenen eine Veränderung möglich ist.

Schlafend oder ganz tot

Mit dem Fegefeuer haben auch die evangelischen Kirchen so ihre Probleme. Schließlich war der Missbrauch dieser Lehre samt Korruption ein Zündfunke der Reformation. Vor allem passt der Läuterungsgedanke nicht in das Konzept der Rechtfertigungslehre.

Stattdessen sprach Kirchenvater Luther vom "Seelenschlaf": "Wenn wir gestorben sind, wird jeder" - gefühlt sofort - "seinen jüngsten Tag haben." Zuletzt dominierte die "Ganztod-Theorie": Das Konzept kennt keine unsterbliche Seele mehr, sondern geht von der Vernichtung des Individuums und seiner Neuschöpfung in der Auferstehung aus.

Eine seelische Entwicklung im Jenseits ist für die Kirchen der reformatorischen Tradition so oder so unmöglich.

Christi Opfer macht's möglich

Eine solche Unveränderbarkeit bestreitet die Neuapostolische Kirche in ihrem Katechismus (KNK):

Der universale Heilswille Gottes - das ist eine der drei Säulen, die das Entschlafenenwesen der Neuapostolischen Kirchen theologisch tragen. Darum und um die beiden anderen Pfeiler geht es in den nächsten Folgen dieser Serie.

(55): Gottes grenzenlose Liebe

Drei Säulen tragen die Entschlafenenwesen der Neuapostolische Kirche. Nummer eins ist die Antwort auf die Frage: Was will Gott? - Dazu hat die Bibel eine Menge zu sagen, nämlich: dass allen Menschen geholfen werde.

Der universale Heilswille Gottes: Diesen Begriff verwenden Theologen, wenn es um die aus der Liebe geborene Absicht Gottes geht, sein Heil allen Menschen zugänglich zu machen. So bezeugt der erste Timotheus-Brief am deutlichsten einen Gott, "welcher will, dass alle Menschen gerettet werden". Das ist aber längst nicht die einzige Bibelstelle, die diesen umfassenden Vorsatz bekundet.

Für alle Völker auf Erden

Das beginnt schon im Alten Testament: So gilt der mit dem Regenbogen besiegelte Bund mit Noah "allem Fleisch auf Erden". Und der Bund mit Abraham verheißt, dass durch seine Nachkommen "alle Völker auf Erden gesegnet werden".

Die Propheten zeichnen eine Zukunft, deren Heil längst nicht nur das Volk Israel umfasst: Gott wird "allen Völkern ein fettes Mahl machen", sagt Jesaja. "Die Völker werden zu dir kommen von den Enden der Erde", ergänzt Jeremia.

Und die Psalmen zeigen Gott als den endzeitlichen König und Richter aller Menschen: "Singet dem Herrn, alle Welt!", beginnt Psalm 96. "Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker", endet Psalm 98.

Ein Haus oder die ganze Welt

In der Menschwerdung Gottes scheint der Heilswille zunächst begrenzt: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel", sagt Jesus. Aber seine Gleichnisse und Wunder weisen schon darüber hinaus.

Etwa als Jesus den Knecht des Hauptmanns von Kapernaum heilt: "Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen", lautet seine Prophezeiung.

Und als die Jünger das Gleichnis vom Unkraut im Acker gedeutet haben wollen, erläutert Jesus: "Der Acker ist die Welt" - und nicht etwa nur der kleine Streifen Land am Ostende des Mittelmeers.

Heiland aller Menschen

Nach Ostern ist endgültig klar, an wen sich das soeben erworbene Heil richtet. Das macht Jesus selbst klar mit dem universalen Sendungsauftrag an die Apostel: "alle Völker" zu lehren, das Evangelium "aller Kreatur" zu verkündigen und Christi Zeugen zu sein "bis an das Ende der Erde".

Und so verkündigen die Briefe im Neuen Testament: Der lebendige Gott "ist der Heiland aller Menschen". Dazwischen gibt es nur einen Mittler: "nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle". Denn er ist "für alle gestorben" - und zwar zur Vergebung der Sünden, "nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt."

Über alle Grenzen hinweg

Der universale Heilswille überschreitet alle Grenzen, nicht nur geografisch, sondern auch bei Kultur, Status und Geschlecht: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus", bekundet Apostel Paulus.

Setzt der Tod dann der göttlichen Absicht die Grenze? Wohl kaum, wenn es nach dem Römerbrief geht: "Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei."

Für die Neuapostolische Kirche ist damit klar:

Sakramente für Entschlafene? Dem universellen Heilswillen Gottes widerspricht das nicht - ganz im Gegenteil. Und was ist mit dem Handeln Jesu? Die Antwortet ist faktisch umstritten, birgt aber eine gemeinsame Überzeugung. Darum geht es im nächsten Teil dieser Serie.

(56): Wie der Abstieg aufstieg

Gott will allen Menschen helfen, Lebenden wie Toten. Diese Überzeugung findet sich schon unter den frühesten Christen. Das bezeugt das biblische Motiv vom Abstieg Christi in die untersten Örter - ein weiterer Anhalt zum neuapostolischen Entschlafenenwesen.

Höllenfahrt, Descensus, Abstieg in die Unterwelt: Die Sache hat viele Namen. Gemeint ist die Vorstellung, dass Jesus zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung im Totenreich weilte, um dort Heil zu vermitteln.

Spuren in der Bibel

Biblischer Kronzeuge ist der erste Petrus-Brief: Demnach hat Jesus "gepredigt den Geistern im Gefängnis, die einst ungehorsam waren" zu Zeiten Noahs. Und so "ist auch den Toten das Evangelium verkündigt". Das sind aber längst nicht die einzigen Spuren, die der Descensus-Gedanke in der Heiligen Schrift hinterlässt.

Laut Epheser-Brief ist Christus hinabgefahren "in die Tiefen der Erde" oder in älteren Übersetzungen auch "in die untersten Örter". Das Matthäus-Evangelium kennt das "Zeichen des Propheten Jona", wonach "der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein wird". Und das Johannes-Evangelium spricht von der Stunde, "dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes". Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Älter als das Christentum

Eine Lehre vom Descensus formuliert die Bibel nicht. Es sind nur einzelne Verse, die bei den Angesprochenen antriggern, was sie längst kennen. Denn die Idee der Höllenfahrt ist älter als das Christentum. Die Vorstellung taucht schon bei Jesaja und Hesekiel auf und wird in frühjüdischer Literatur ausgebaut: Da gedenkt Gott der Toten, die in der Grabeserde schlafen, und steigt zu ihnen hinab, "um ihnen die frohe Botschaft seines Heiles zu bringen".

Frühchristliche Literatur schreibt die Geschichte fort, mit Jesus Christus in der Hauptrolle. Petrus-Evangelium, Nikodemus-Evanglium, Oden Salomons oder Sibyllinisches Orakel nennen sich die apokryphen Werke aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert. Da steigt Christus nicht nur ins Totenreich hinab, um zu predigen, sondern sogar um zu taufen und aus der Unterwelt zu befreien.

In Theologie und Liturgie

Theo-logischer setzen sich zeitgleich die Kirchenlehrer mit dem Thema auseinander: Ignatius von Antiochien, Justin oder Irenäus im zweiten Jahrhundert; Origines, Clemens, Augustinus ab dem vierten Jahrhundert. Ihnen geht es darum, dass Jesus wirklich gestorben ist und den Tod wirklich besiegt hat. Sie wehren sich gegen esoterische Strömungen, die später Gnostizismus heißen.

Die Höllenfahrt wird so wichtig, dass sie in die Gottesdienst-Abläufe einzieht. Spätestens ab 218 macht das Gedenken daran den Hauptteil des bischöflichen Abendmahlgebetes (Anaphora) aus. Das bezeugt die "Traditio Apostolica", die Mutter aller Kirchenordnungen.

Aufstieg zu höchsten Weihen

Höchste Weihen bekommt der Descensus im vierten Jahrhundert unter anderem in den Synoden von Nicäa und Konstantinopel sowie schließlich mit der Aufnahme ins "Apostolikum" (KNK 2.2.1). Das ist bis heute eins der wichtigsten Glaubensbekenntnisse der Christenheit. Es spricht von Jesus Christus als "hinabgestiegen in das Reich des Todes".

Und dann macht die Höllenfahrt so richtig Karriere sowohl im römischen Westen als auch im orthodoxen Osten der Christenheit: Die Lehre zieht in die Kirchendichtung, die Musik, die Predigt und noch weiter in die Liturgie ein. In der Ikonenmalerei entwickelt sich sogar eine eigene Descensus-Gattung.

Im Osten ein Feiertag

Bis heute ist der Descensus für die Katholische Kirche ein wichtiger Glaubenssatz geblieben. Ihm widmet sich der Weltkatechismus ausführlich in den Abschnitten 632 bis 637. Die evangelischen Kirchen haben hingegen so ihre Probleme damit: "Einige Jahrhunderte kam die Christenheit ohne diesen Glaubenssatz aus", heißt es in einem ihrer Katechismen mit leicht kritischem Blick auf das Apostolikum.

Ganz anders bei den orthodoxen Kirchen. Hier gehört der Abstieg Christi ins Totenreich zu den zentralen Lehrinhalten überhaupt. Er ist Gegenstand eines jeden Abendmahlsgebets. Und er hat sogar seinen eigenen Feiertag - den Samstag zwischen Karfreitag und Ostersonntag.

Für die Neuapostolische Kirche ist der Descensus ein weiterer Ausgangspunkt für die Praxis im Entschlafenenwesen - neben dem allgemeinen Heilswillen Gottes. "Das Heilshandeln Christi umfasst also auch die Toten", zieht der Katechismus in Abschnitt 3.4.10 seine Schlüsse: "Seit Jesus das Opfer gebracht hat, ist auch für die Toten Erlösung möglich."

Sowohl katholische als auch evangelische Theologen sehen eine enge Verbindung der Descensus-Verse im ersten Petrus-Brief mit einem Vers aus dem ersten Korinther-Brief. Dabei geht es um die sogenannte Vikariatstaufe. Was das ist und was das für die Neuapostolische Kirche bedeutet: Darum dreht sich die nächste Folge dieser Serie.

(57): Als Stellvertreter zur Taufe

Ein Bibelvers bereitet Auslegern mächtig Kopfzerbrechen - und das seit 1800 Jahren. Genau diese Stelle ist der dritte Ansatzpunkt für das Entschlafenenwesen der Neuapostolischen Kirche. Letztlich geht es um die Macht eines Sakraments.

Es ist eine harte Nuss, die Apostel Paulus mit 1. Korinther 15,29 hinterlassen hat: "Was machen denn die, die sich für die Toten taufen lassen? Wenn die Toten gar nicht auferstehen, was lassen sie sich dann für sie taufen?"

Ein Vers, der mächtig Mühe macht

Die Bedeutung ist umstritten. Der Vers hat "große Investitionen an Scharfsinn und Spitzfindigkeit provoziert", wie ein führender Bibelkommentar leicht süffisant anmerkt. Rund 200 unterschiedliche Interpretationen zählt die Fachliteratur von den Kirchenvätern über die Reformatoren bis heute.

Mittlerweile hat sich ein wissenschaftlicher Konsens verfestigt. Demnach geht es in dem Vers um die sogenannte Vikariatstaufe: Christen in Korinth pflegten den Brauch, sich stellvertretend für ungetaufte Verstorbene taufen zu lassen, um ihnen die Auferstehung in Christus zu ermöglichen. Das ist die philologisch überzeugendste Erklärung - darin ist sich die Mehrheit der Ausleger einig.

Apostel hat nichts dran auszusetzen

Der Vers ist die einzige Bibelstelle, die davon spricht. Warum erwähnt Paulus die "Taufe für die Toten" überhaupt? Ganz einfach: Manche Christen in Korinth glauben nicht an die Auferstehung. Einige von ihnen praktizieren aber die Vikariatstaufe. Ohne Auferstehung ist das sinnlos, macht Paulus deutlich und schlägt die Leugner mit ihren eigenen Waffen.

Und wie bewertet der Apostel diese sakramentale Praxis für Verstorbene? Im Bibeltext selbst ist weder von Zustimmung noch von Ablehnung zu lesen. Vor allem aktuellere Bibelkommentare stellen fest: Paulus hätte die Totentaufe wohl kaum als Argument für die Auferstehung benutzt, wenn er dagegen gewesen wäre. Er redet darüber, wie über eine Selbstverständlichkeit.

Der Glaube wurzelt in zwei Kulturen

Wie kommt Korinth zu diesem Ritus? Die Christen dort leben in einem offenen, multikulturellen Umfeld. Und sie haben für diese Zeit ein ausgesprochen sakramentales Verständnis von Taufe. Sprich: Sie billigten der Handlung eine große Kraft zu.

Und ein Teil der Gemeinde glaubt daran, dass sich diese Macht bis ins Jenseits erstreckt. Die Wurzeln für diese Vorstellung sieht der wissenschaftliche Konsens sowohl im Judentum als auch in der griechischen Kultur:

Weiter verbreitet, als angenommen

In älteren Bibelkommentaren wird die Vikariatstaufe ganz gerne als sektiererischer Brauch abgetan. Das hat auch damit zu tun, dass etwas Ähnliches später tatsächlich auch von Gemeinschaften am Rande der alten Kirche praktiziert wurde.

Neuere Fachliteratur nimmt an, dass die Totentaufe in Korinth ganz selbstverständlich war und vielleicht sogar auch in anderen paulinischen Gemeinden praktiziert wurde. Jedenfalls sei das Konzept von "Erlösung nach dem Tod" im frühen Christentum weiter verbreitet gewesen, als gewöhnlich angenommen wird.

Zeichen für die Kraft des Zeichens

Tatsächlich befassen sich Kirchenväter ab dem zweiten bis ins vierte Jahrhundert mit ähnlichen Ansätzen und abweichenden Riten in verschiedenen Ecken und Enden der Christenheit. Das zeigt zumindest, dass es immer wieder das Grundbedürfnis der Gläubigen gab, auch ihren Verstorbenen den Weg zum Heil in Christus geebnet zu wissen.

Und so stellte der berühmte Theologe Dietrich Bonhoeffer die Frage: "Warum sollte aus solcher Auffassung der Taufe nicht auch ein derartiger Brauch als extremer [.] Ausdruck der Kraft des Sakraments entstehen können?"

Eine Bischofskonferenz verbietet die Vikariatstaufe? So lautet die übliche Erzählung. Doch so ganz stimmt das nicht. Wie es mit den Sakramenten für Verstorbene im Christentum weiterging: Darum geht es in den nächsten beiden Folgen dieser Serie.

(58): Weil Leichen nicht essen

Die Vikariatstaufe: ein biblischer Anhalt fürs Entschlafenenwesen. Und eine Bischofskonferenz soll's verboten haben. So geht die übliche Erzählung. Doch das ist so nicht richtig - die Entscheidung und ihre Hintergründe.

Was bisher geschah: In den ersten Jahrzehnten des Christentums entsteht der Brauch der Stellvertreter-Taufe. Mancherorts lassen sich Gemeindemitglieder anstelle von Verstorbenen taufen. Das bezeugt Apostel Paulus im ersten Korintherbrief. Und davon berichtet Kirchenlehrer Tertullian im zweiten Jahrhundert.

Auch der Paulus-Kommentar des sogenannten Ambrosiaster aus dem vierten Jahrhundert kennt diese Vikariatstaufe: Demnach wurden Menschen in neutestamentlicher Zeit "für die Toten getauft, weil sie befürchteten, dass jemand, der nicht getauft war, entweder gar nicht auferstehen würde oder nur auferstehen würde, um gerichtet zu werden".

Weder Paulus noch Tertullian noch Ambrosiaster hatten an der Motivation und der Praxis der Stellvertreter-Taufe etwas zu bemängeln. Doch dann kommt ein Verbot.

Das Verbot unter der Lupe

"Die Totentaufe wurde im Jahre 397 auf dem Konzil von Karthago verboten." - So oder ähnlich wird das Thema gern beendet. Doch das passt bestenfalls bei oberflächlicher Betrachtung.

Was die Regionalversammlung nordafrikanischer Bischöfe wirklich beschloss: "dass den Körpern der Verstorbenen nicht die Eucharistie gegeben werden solle." Denn: "Es wurde vom Herrn gesagt: ,Nehmt und esst.' Leichen können aber weder nehmen noch essen." Aus diesem Grund sollte man auch das Taufen sein lassen.

In Karthago ging es 397 also konkret nicht um die Vikariatstaufe, die stellvertretende Handlung an Lebenden für die Toten. Untersagt wurde genau genommen, einem Leichnam, also dem toten Körper, das Abendmahl und die Taufe zu spenden.

Das bekräftigte die Bischofsversammlung auch 419 am gleichen Ort mit fast den gleichen Worten, als sie die Beschlüsse ihrer 15 vorherigen Treffen durchgingen. Aber: Woher kommt denn auf einmal das mit der Leichentaufe?

Im Kampf gegen Ketzer

Der Taufbewerber ist zu früh gestorben. Jetzt liegt er auf dem Totenbett. Und unter dem Bett liegt ein Lebender. Der Lebende antwortet, wenn der Tote gefragt wird, ob er getauft werden will. Dann geht der Priester ans Werk.

So soll es in der frühen römischen Gegenkirche der Markioniten zugegangen sein. Das berichtet jedenfalls Kirchenvater Johannes Chrysostomus. Und Ähnliches wissen auch die Bischöfe Ephiphanius von Salamis und Filastrius von Brescia zu erzählen – und zwar von den christlichen Nebenströmungen der Kerinthianer und der Montanisten.

Gemeinsam ist diesen Schilderungen: Sie stammen aus dem vierten Jahrhundert. Und sie sind Teil von Häresiologien, von Kampfschriften gegen Abweichler und Irrlehrer. Doch darin geht es eigentlich nicht unbedingt um die Totentaufe.

Eine unter vielen Streitfragen

Hintergrund ist vielmehr ein Dauerstreit zwischen Schwergewichten der Kirchengeschichte um ganz große Fragen der Theologie. Angestoßen hatte die Debatte im Prinzip der Kirchenphilosoph Origines von Alexandria im dritten Jahrhundert. Beendet hat es quasi Kirchenvater Augustinus von Hippo im fünften Jahrhundert.

Dabei führte eine Frage zu nächsten: Will der barmherzige Gott wirklich Menschen ewig strafen oder werden alle am Ende doch noch erlöst? Kann man nur im Leben das Heil erlangen oder ist das auch nach dem Tod noch möglich? Hat Christus beim Abstieg in die untersten Örter nur die Gerechten des Alten Bundes befreit oder auch bekehrte Sünder und Heiden errettet?

Durchgesetzt hat sich wie so oft das Lager von Augustinus, zu dem auch Chrysostomus gehörte: Demnach straft Gott ewig, gibt es Heil nur in diesem Leben, hat Jesus nur den Gerechten geholfen - und darf Totentaufe nicht sein.

Bräuche, die sich halten

So einfach ausrotten ließen sich derartige Gebräuche allerdings nicht. So sah sich der Kirchenschriftsteller und Bischof Fulgentius von Ruspe noch im sechsten Jahrhundert genötigt, die Abhandlung "mortui cur non baptizentur" zu verfassen: "Warum die Toten nicht getauft werden".

"Für ungetauft verstorbene oder totgeborene Kinder umging die Volksfrömmigkeit gelegentlich dieses Verbot durch mirakulöse vorübergehende Wiederbelebungen", berichtet das renommierte Fachlexikon "Religion in Geschichte und Gegenwart". Demnach hielt sich diese Praxis "von der Alten Kirche bis in die Neuzeit".

Die Totgeburt eines Kindes setzte in der damals noch werdenden Neuapostolischen Kirche eine Entwicklung in Gang. An deren Ende standen hier offizielle Sakramente für die Entschlafenen. Darum dreht sich der nächste Teil dieser Serie.

(59): Für Entschlafene unter Apostelhand

Können auch Verstorbene noch Heil erlangen? Die Frage ist so alt wie das Christentum. Die Antwort der Neuapostolischen Kirche ist gar nicht mal so neu - und dennoch ungewöhnlich: Wie die Sakramente für Entschlafene entstanden.

"1870. Die erste Versiegelung für Entschlafene (das Kind von Bruder v.d. Bosch) nach Besprechung und Erforschung der Heiligen Schrift. Das zweite war das Kind von Bruder Meijnders." - Hat diese neuapostolische Tradition tatsächlich so früh begonnen?

Unterschiedliche Erinnerungen

Eigentlich sehen Geschichtsschreiber die Anfänge im Jahr 1872. Diese Datierung basiert auf Erinnerungen von Stammapostel Hermann Niehaus, die er 1927 und 1928 in Gottesdiensten für Entschlafene äußerte. Da geht es aber weniger um die ersten Handlungen als um die Überlegungen des seinerzeit führenden Apostels Friedrich Wilhelm Schwarz (Das Erbe von Apostel Schwarz) in diese Richtung.

Die konkreten Angaben zum Jahr 1870 finden sich in einer Gedenkschrift - zu Ehren von Apostel Schwarz - aus dem Hause Verkruisen. Das ist durchaus ein Name mit Geschichte: Denn Nicolaas Johannes Verkruisen senior war mittendrin, als es losging in der Amsterdamer Gemeinde. Seine Teilnahme an den früheren Sakramenten für Entschlafene ist dokumentiert.

Muss die Geschichte also umgeschrieben werden? Nicht unbedingt. Denn die Jahresangaben von Stammapostel Niehaus und Hirte Verkruisen gehen nicht nur in diesem Fall auseinander. Und verlässliche Quellen, die als Schiedsrichter dienen könnten, sind derzeit nicht in Sicht.

Berichte in Rundschreiben

Sicher ist allerdings, dass die Versiegelung von Entschlafenen spätestens 1874 so gut wie selbstverständlich war in den niederländischen Gemeinden. Das geht aus der Publikation "De Herinnering" hervor, einem regelmäßigen Rundschreiben mit Berichten über Gottesdienste und Meldungen aus dem Gemeindeleben.

Dazu gehörten immer wieder auch Berichte zur Versiegelung von Verstorbenen: "Es wurden viele Entschlafene mit Feuer und dem Geist getauft", heißt es zum Beispiel im April 1874. Und im Mai des Jahres ist verzeichnet: "Am Himmelfahrtstag empfingen vier Christen die Versiegelung, dann viele Entschlafene."

Schon im Januar erläutert Apostel Schwarz sein Verständnis von Jenseits und Sakramenten. Dazu gehörte auch: "Wer sich also für die Entschlafenen taufen lassen will, für den muss der Glauben an die Wasser- und Feuertaufe einen hohen Stellenwert haben. Wer aber noch zweifelt und nicht fest im Glauben steht, soll und darf es nicht für die Verstorbenen tun."

Der Anfang der Geschichte

Unabhängig von der Jahreszahl decken sich die Quellen aber zu einem gemeinsamen Bild: Es sind persönliche Schicksalsschläge, vor allem der Tod von ungetauften Kindern, die die Frage nach Erlösung für Verstorbene ganz konkret und hautnah aufwerfen.

Die Antwort findet sich auf zwei Weisen. Zum einen durch Gesichte: So nehmen Gemeindemitglieder bei Versiegelungsgottesdiensten wahr, dass auch Entschlafene sich unter die Hand des Apostels begeben. Zum anderen in der Bibel: So beschäftigen sich die Apostel intensiv mit der Vikariatstaufe aus 1. Korinther 15,29.

Nach Apostel Schwarz führen bald auch die Apostel Friedrich Wilhelm Menkhoff (Als der Gottesdienst sich wandelte) und der spätere Stammapostel Friedrich Krebs (Tatkräftig und ordnend) die Versiegelungen für Entschlafene durch. Doch das ist erst der Anfang einer wechselhaften Geschichte. Darum dreht sich der nächste Teil dieser Serie.

(60): Eine Ordnung für das Jenseits

Turbulent ging's los. Doch Schritt um Schritt ordnete die Neuapostolische Kirche ihre Sakramente für Entschlafene. Und nachdem die Praxis geregelt war, klärte sich auch die Theorie - die Historie im Schnelldurchgang.

Am Anfang ging es recht euphorisch zu bei den Sakramenten für die Entschlafenen. Ob und wann der Apostel die Wasser- oder Geisttaufe spendete, das bestimmten Weissagungen aus der Gemeinde. Wer für wen als Stellvertreter diente, regelten ebenfalls Gesichte. Da konnte es in den ersten Jahren schon mal passieren, dass man meinte, Luther, Calvin und Co. versiegelt zu haben.

Glaubensmütter und Amtsgefäße

Das Jahrzehnt rund um 1910 lenkte die Begeisterung in ruhigere Bahnen. Peu à peu wurde die Sitte abgeschafft, die verstorbenen Sakramentsempfänger individuell zu benennen. Stammapostel Hermann Niehaus feierte Entschlafenen-Gottesdienste regelmäßig am zweiten Weihnachtsfeiertag und in den 1920er manchmal auch am Pfingstmontag.

Und die Apostelversammlung regelte die Stellvertreter-Frage: Zwei "Amtsgefäße" sollten "als Körbe dienen" - üblicherweise eine Frau für die Frauen, ein Mann für die Männer, zumeist der älteste Diakon und die älteste Diakonisse, eine Berufung, die es damals noch gab. Für Taufen waren zwei Frauen gefragt, die "Glaubensmütter". In Fällen von zu frühen verstorbenen Kindern durften auch Eltern eingesetzt werden. Seit 1930 ist der Dienst als "Amtsgefäß" den Amtsträgern vorbehalten.

Drei Mal im Jahr zu zweit am Altar

Ausdrückliches Vorbild dieser Doppel-Stellvertretung war das "Totenabendmahl", das laut niederländischen Quellen seit 1886 gefeiert wurde. Hier hatte Stammapostel Friedrich Krebs im Jahr 1898 die Abläufe geregelt. So gab es zwei "Amtsgefäße" - zum einen die "Amtskrippe", die das Brot entgegennahm, zum anderen der "Amtskelch", der den Wein empfing. Denn die neuapostolische Kombi-Hostie war noch nicht erfunden.

Drei Mal im Jahr war das Totenabendmahl seitdem zu feiern. Auch das diente als Vorbild - noch gut ein halbes Jahrhundert später. Denn 1954 verfügte Stammapostel Johann Gottfried Bischoff die gleiche Häufigkeit für die Entschlafenen-Sakramente mit dem noch heute geltenden Rhythmus. Und er begründete diese Anzahl genauso wie Einheitsvater Krebs (Tatkräftig und ordnend) mit den "Bundespflichten" aus 2. Mose 34,23.

Aufschlüsse zum Aufschließen

Nach 1898, 1910 und 1954 markiert das Jahr 2001 den vierten großen Meilenstein in der Geschichte des neuapostolischen Entschlafenenwesens: "Es besteht keine zwingende Notwendigkeit, die Zugänge zum Altar und zum Reich Gottes durch ein besonderes Gebet des Stammapostels vor einem Gottesdienst für Entschlafene aufzuschließen", hieß es damals in einem Lehrschreiben.

Vom Aufschließen der jenseitigen Bereiche hatte schon Stammapostel Krebs gesprochen. Stammapostel Bischoff proklamierte das rituell im Eingangsgebet des Entschlafenen-Gottesdienste. Stammapostel Schmidt verlegte den Akt mit Blick auf die weltweiten Zeitzonen auf den Vorabend. Stammapostel Urwyler vertrat die Ansicht, dass Verstorbene nicht an Raum und Zeit gebunden sind. Und unter Stammapostel Richard Fehr machten die Leitgedanken-Sondernummer 3/2001 deutlich: "Die jenseitigen Bereiche sind durch das einmal gebrachte und ewig gültige Opfer Jesu Christi geöffnet."

Zwischen Theorie und Praxis

Bleibt noch das Jahr 2005 zu erwähnen. Da erschien die Broschüre "Der Jenseitsglaube der neuapostolischen Christen". Es war das erste Werk seit 70 Jahren, das Lehraussagen der Kirche zu diesem Thema veröffentlichte: nach "Lichtblicke ins Totenreich" (1905) und "Das Leben nach dem Tode" (1935).

Während diese Vorgänger das Entschlafenenwesen vor allem auf Erlebnisberichte von Gläubigen stützten, bemühte sich der "Jenseitsglaube" um die biblische Herleitung. Allerdings sollte diese Broschüre keine Lehrsetzungen vornehmen, sondern ausschließlich die damalige Lehre und Praxis zusammenfassen.

Damit war das Heft ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum großen Glaubensbuch: Der 2012 veröffentliche Katechismus der Neuapostolischen Kirche vervollständigte den Ansatz, das Entschlafenenwesen in theologisch verantwortlicher Weise darzulegen. Wie die Praxis heute aussieht, damit beschäftigt sich die nächste Folge dieser Serie.

(61): Dreimal im Jahr für alle

Es sieht aus wie sonst auch: Apostel spenden Sakramente - diesmal an zwei beteiligte Amtsträger - die Gemeinde steht und betet schweigend mit. Und doch, dieser Moment ist hochfeierlich und berührt die Gläubigen seit Generationen.

Die Rede ist vom Entschlafenensonntag in der Neuapostolischen Kirche. Dreimal im Jahr feiern neuapostolische Christen einen Gottesdienst, der weltweit in allen Gemeinden als Gedenktag für Verstorbene gefeiert wird. Gestorbener Angehöriger zu gedenken, das gibt es in allen Kirchen - mehr oder weniger ausgeprägt. Es handelt sich um eine uralte Glaubenspraxis. Insofern ist die neuapostolische Praxis gewohnt christlich.

Erweiterte Liturgie

Doch es gibt eine spezielle Variante dazu: Dort, wo der Stammapostel oder der jeweilige Bezirksapostel den Gottesdienst leiten, findet neben dem bloßen Gedenken die Spendung der drei neuapostolischen Sakramente statt - Heilige Wassertaufe, Heilige Versieglung und Heiliges Abendmahl.

Der Gottesdienst an diesen drei Entschlafenensonntagen beginnt in allen Gemeinden zunächst wie gewohnt: Gebet, Gesang, Predigt, Feier des Heiligen Abendmahls. Doch dann wird die Liturgie um ein wesentliches Element erweitert: Ein Fürbittgebet wird eingelegt.

Im Kern dieses Gebetes steht der Dank, dass die Kraft des Opfertodes Jesu Christi bis ins Jenseits reicht. Wer an Jesus Christus glaubt, dem werden Gnade und Heil geschenkt und durch die Hinnahme der Sakramente geschieht der Zugang zur Gemeinschaft mit dem Herrn.

Zu dem Gebet gehört auch die Fürbitte für Entschlafene: Die neuapostolischen Christen beten dafür, dass unerlöste Verstorbene das Heil in Christus finden. Die Gemeinde ist insofern daran beteiligt, dass sie die Fürbitte im stillen Gebet mitträgt. Umrahmt ist dieses Gebet häufig von musikalischen Beiträgen zur Einstimmung und Besinnung auf das Geschehen.

Unter Apostelhand

Die Sakramentsspendung kommt hinzu, wenn der Stammapostel oder der jeweilige Bezirksapostel in der Gemeinde ist. Er betet nicht nur, er handelt auch. An 49 Sonntagen im Jahr feiern diese Apostel das Heilige Abendmahl für die Entschlafenen - an drei Sonntagen im März, Juli und November kommen die anderen beiden Sakramente Wassertaufe und Versiegelung noch hinzu.

Auch das geschieht auf einfache und bedachtsamer Weise: Zwei Amtsträger stellen sich vor den Apostel, der ihnen stellvertretend die Sakramente spendet - in der gleichen Form wie für die Lebenden. Weissagungen finden nicht statt: Weder werden die Stellvertreter prophetisch gerufen noch bestimmte Empfänger durch Gesichte und Vision benannt.

Außen ruhig, innen bewegt

So "sachlich" das Geschehen wirkt, so emotional nimmt die Gemeinde daran Anteil. Die dargebotenen Lieder und Musikstücke tun ihr Übriges: Die Gemeinde ist sensibilisiert für das Besondere an diesen Gottesdiensten. Schließlich wurde sie bereits am Sonntag zuvor darauf eingestimmt. Eine Beschreibung der Liturgie steht als PDF zur Verfügung.

Soweit die heutige Praxis im Umgang mit der sakramentalen Handlung für Verstorbene. Der Katechismus der Neuapostolischen Kirche gibt darüber ausführlich Aufschluss. In der nächsten Folge dieser Serie geht es um das Totengedenken anderer Konfessionen - und seinen gelegentlichen sakramentalen Zusammenhang.

(62): Der Kraftakt für die Toten

Sakramente können auch Entschlafenen helfen. Das bekennt nicht nur der neuapostolische Glaube. Das lehrt auch die Katholische Kirche und das orthodoxe Christentum - ein Blick über den Tellerrand.

Sie haben einen festen Platz in den Terminkalendern katholischer Gemeinde - "Eucharistiefeiern mit Totengedenken": mancherorts wöchentlich, mindestens aber jährlich. Dabei geht's ums allgemeine Gedächtnis, auf Anfrage aber auch um bestimmte einzelne Personen.

Natürlich kennt der Katholizismus auch Totengedenken ohne Abendmahlsfeier, aber die Messe "mit" genießt einen besonderen Stellenwert. Denn: "Als Opfer wird die Eucharistie auch zur Vergebung der Sünden der Lebenden und der Toten dargebracht und um von Gott geistliche und zeitliche Wohltaten zu erlangen", heißt es im römisch-katholischen Katechismus.

Die alte christliche Tradition

"Schon seit frühester Zeit hat die Kirche das Andenken an die Verstorbenen in Ehren gehalten und für sie Fürbitten und insbesondere das eucharistische Opfer dargebracht, damit sie geläutert werden und zur beseligenden Gottesschau gelangen können", erläutert das Lehrwerk weiter.

In der Tat: Abendmahlsfeiern am Grab sind schon für das zweite Jahrhundert dokumentiert. Daraus entwickelten sich Eucharistiefeiern am 3., 7. oder 9. und 30. oder 40. Tag nach dem Tod. Allgemein jährliche Gedenktage - wie etwa zu Allerseelen - kamen erst im neunten bis zehnten Jahrhundert dazu.

Der Aufruf zum Erinnern

"Memento" - "Gedenke!" - heißt der Teil des allgemeinen katholischen Abendmahlsgebetes, bei dem es auch um das Gedächtnis der Verstorbenen geht, "die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und im Frieden entschlafen sind". Von Gott erbeten wird für die Toten der "Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens".

Diesen Teil der Liturgie gab's ab etwa 400 zunächst nur in Rom selbst, breitete sich - mit der namentlichen Nennung der Verstorben - allerdings im fünften Jahrhundert in der gesamten Westkirche aus.

Das doppelte Gedenken

Einen zentralen Platz nimmt das Totengedenken in allen östlichen orthodoxen Kirchen ein. Sie lehren, dass Gebete für Verstorbene das Los der Menschen im Jenseits erleichtern können. Eine besondere Kraft wird dieser Fürbitte zugesprochen, wenn sie innerhalb der "Göttlichen Liturgie" und im Zusammenhang mit dem "unblutigen Sühneopfer" stattfinden - also bei der Feier des Abendmahls.

So findet das aktive Totengedenken gleich doppelt Platz im orthodoxen Gottesdienst:

Die Macht über die Hölle

Die "Göttliche Liturgie" findet im Tageskreis der unterschiedlichen Gottesdienst-Formen einmal am Tag statt. Darüber hinaus ist im Wochenkreis der Samstag ausdrücklich dem Totengedenken gewidmet. Das bezieht sich auf die sogenannte Höllenfahrt Christi, die zwischen Karfreitag und Ostersonntag datiert wird. Und im Jahreskreis stehen die Verstorbenen vor allen an bestimmten Samstagen vor Ostern und Pfingsten im Mittelpunkt.

Neben diesem allgemeinen Gedächtnis gibt es auch noch Abendmahlsgottesdienste für ganz spezifische Entschlafene. Diese finden typischerweise am 3., 9. und 40. Tag nach deren Tod statt. Dazu können die Angehörigen Kerzen oder auch Abendmahlsbrote stiften.

Christus "hat die Macht die Pforten der Hölle zu öffnen", formuliert ein Klassiker unter den orthodoxen Lehrwerken - und zwar auch "durch die Gebete der Kirche und durch die Kraft des unblutigen Sühneopfers", also des Abendmahls, "das für die Toten dargebracht wird".

(63): Alles andere als Totenbefragung

Ist der Gottesdienste für Entschlafene eine spiritistische Veranstaltung? Von wegen: Wer das behauptet, der widerspricht der Wissenschaft. Denn die sieht in dem entscheidenden Punkt genau das Gegenteil.

Die Gemeinde hat gebetet. Zwei Männer stehen am Altar. Stumm nehmen sie Hostien entgegen. Das ist Entschlafenen-Gottesdienst: Im Dienste Gottes stehen.

Tische rücken, Pendel schwingen oder eine ekstatische Stimme redet in seltenen Tonarten. Das ist Spiritismus: Toten heraufbeschwören und das Totenreich ausforschen.

"Spiritismus ist die Lehre von der Manifestation der Geister, die sich durch bestimmte Codes oder Medien identifizieren und vor den lebenden Angehörigen ihre Existenz beweisen, indem sie ihnen Selbstmitteilung, Anweisungen, Drohungen hinterlassen, welche das Medium interpretiert." - So definierte es die Theologische Realenzyklopädie, das Non-Plus-Ultra unter den Fachlexika.

Spiritismus im Alten Testament

Beispiele für solche Totenbefragungen gibt es schon im Alten Testament. In der heidnischen Umwelt Israels war Spiri¬tismus ein Teil der religiösen Praxis. Bekannt ist die Erzählung von der Hexe zu Endor: Auf Bitten des verzweifelten Sauls beschwört sie den Propheten Samuel herauf. Dieser erscheint am Ende nur deshalb, um zu verkünden, dass Gott den König verworfen hat.

Dem Volk Israel war derartige Abgötterei verboten: "Wenn du in das Land kommst, das dir der Herr, dein Gott, geben wird, so sollst du nicht lernen, die Gräuel dieser Völker zu tun", heißt es in 5. Mose 18,9-11. Den Bann Gottes sollte treffen, wer "Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder Geisterbeschwörungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt."

Spiritismus in der Neuzeit

Der moderne Spiritismus entstand im 19. Jahrhundert als erklärter Gegentrend zum Materialismus dieser Epoche, der alles Sein, auch das Geistige, auf bloße Materie zurückführte. Die Bewegung will die Existenz der unsterblichen Seele durch die Befragung von Verstorbenen beweisen. Das Jenseits wird quasi zum Forschungsobjekt.

Die Befragungen finden in sogenannten Séancen, Gruppensitzungen in abgedunkelten Räumen, statt. Die Antworten liefern das "Medium", eine angeblich dafür begabte Person, oder Zeichen wie beim Tisch- und Gläserrücken, bei Klopfgeräuschen oder allerlei Vorrichtung, bei denen ein Objekt auf Buchstaben, Zahlen oder Symbole zeigt.

Gegenpole im Vergleich

Das macht deutlich, in welchem Gegensatz der Spiritismus und das Entschlafenenwesen zueinanderstehen:

Die eine große Gemeinde

Das neuapostolische Entschlafenenwesen ist auch vom Ahnenkult abzugrenzen, wie er vor allem in Afrika, aber auch in Teilen Asiens und bei den Ureinwohnern Asiens zu finden ist. Die Ahnen, das sind verstorbene Personen, von denen ein Mensch, eine Gruppe oder ein Volk abstammt, seine Identität definiert und ihnen Verehrung entgegenbringt.

Hier finden sich ebenfalls viele Gegensätze:

So oder so gilt: Das Entschlafenenwesen macht den allgemeinen Heilswillen Gottes deutlich, der Lebende ebenso wie Tote umfasst. Fürbitte und Sakramentsspendung geben der Gewissheit Ausdruck, dass Tote und Lebende eine große Gemeinschaft von Heilsbedürftigen sind und dass die Kirche Christi selber eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten ist.

(64): Wo Gottes Liebe durchbricht

Man nennt es das Strukturgesetz biblischer Heilsgeschichte: das Prinzip "Stellvertretung". Auch das Entschlafenenwesen der Neuapostolischen Kirche beruht darauf - wo das Grundmuster herkommt und hinführt.

Drei Sakramente kennt der Katechismus für die Verstorbenen: Heilige Taufe, Heilige Versiegelung und Heiliges Abendmahl. "Diese Handlungen werden an zwei Amtsträgern stellvertretend vollzogen", heißt es in Abschnitt 12.1.9 .

Dieses Prinzip taucht auch auf bei der Taufe für die Toten, die in 1. Korinther 15,29 anklingt: "Wie man sich die Vikariatstaufe der theologischen Konstruktion nach zu denken hat, ist eine interessante Frage", schreibt der bekannte Neutestamentler Klaus Berger. "Der Grundgedanke ist die 'Stellvertretung'." Und: "Ziel jeder Stellvertretung ist die heilswirksame Anrechnung für den, der den Akt nicht vollzieht."

Eine Idee, viele Worte

Allerdings kennt die Bibel kein Wort, das sich mit "Stellvertretung" übersetzen lässt. Doch das Konzept ist da und findet sich auch in der Sprache. So umfasst die Liste der Ersatzworte im Hebräischen des Alten Testaments zum Beispiel "vor Gott stehen", "in die Bresche treten", "in den Riss treten", "Lösegeld geben", "tragen" oder "schleppen" von Sünde, "Fürbitte leisten", "zugunsten von" und dergleichen mehr.

Oder konkret: Stammvater Jakob repräsentiert das ganze Volk Israel. Abraham tritt vor Gott für die Menschen von Sodom ein. Und Moses vermittelt gleich in beide Richtungen: Als Bote Gottes überbringt er die Gebote. Als Fürsprechers des Volkes bittet er um Erbarmen für die Goldkalb-Tänzer.

Mehr als ein Platzhalter

"Stellvertretung", das heißt hier zumeist: "zu Gunsten von". Doch das ändert sich zu einem "anstelle von", wenn etwa die Klagelieder bejammern, dass die Nachfahren die Schuld der Väter tragen müssen. Oder wenn der Sündenbock das Unheil anderer auf sich nehmen muss.

Höhepunkt in diesem Sinne ist das Gottesknecht-Lied bei Jesaja, wo der Gerechte für den Schuldigen eintritt und in Folge dessen Sünde trägt. Das Alte Testament löst diese Perspektive nicht ein. Sie erfüllt sich erst in Jesus Christus.

Auf der nächsten Ebene

So versteht das Neue Testament das Heil: Dass Jesus Christus gestorben und auferstanden ist - und zwar "für mich", "für uns", "für euch", "für viele", "für alle", "für Gottlose", "für den Bruder", "zugunsten", "zugute", "anstelle", "anstatt", "wegen", "um ... willen". Da stirbt der gute Hirte für die Schafe und der Freund für die Freunde.

Und dabei bleibt das Prinzip "Stellvertretung" nicht stehen: Die Boten Christi können aus seiner Vollmacht heilen. Aber schon ernstliche Fürbitte kann viel erreichen. Der Heilige Geist wirkt in Einzelnen zum Nutzen Vieler. Und die Eingliederung in den Leib Christi bedeutet das Mitsterben und das Mitauferstehen in Christus.

Jeder ein Stellvertreter

"Stellvertretung", so die Schlussfolgerung der Theologen, das bedeute, dass das Handeln Einzelner zur Einbruchstelle für Gottes Heilspräsenz in der Welt wird. Mehr noch: Jeder, der sich gemäß seiner Begabung und Berufung für andere einsetzt, wird zur Einbruchstelle von Heil.

So spricht der berühmte evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer von der Stellvertretung als dem "Lebensprinzip" der Kirche. Und sein katholischer Kollege Karl-Heinz Menke meint: "Darin besteht der 'neue Bund', dass jeder Christ auf bestimmte Weise durch, mit und in Christus zum Stellvertreter wird."

Das Prinzip leben

Gelebt wird das Prinzip je nach Konfession ganz unterschiedlich. Mal betet der Priester stellvertretend für die ganze Gemeinde. Mal schlüpft ein geweihter Pfarrer beim Abendmahl stellvertretend in die Rolle Jesu Christi. Und mal bekennen Eltern oder auch Paten bei der Taufe stellvertretend den Glauben an den Erlöser.

Und die Neuapostolischen Kirche bekennt den Glauben an den allumfassenden Heilswillen Gottes darin, dass die Stellvertretung der kompletten Gemeinde Gottes - also nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jenseits - zu Gute kommt.

(65): Wie auf Erden, so auf Erden

Handlungen im Diesseits für das Jenseits: Warum sollte das nötig sein? Jesus Christus selbst hat's vorgemacht - und ist auf diese Erde gekommen, um das Heil für Lebende und Tote zu schaffen. Und das prägt das Wesen der Sakramente.

Die Sakramente hängen ursächlich mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zusammen. "Das Heil in den Sakramenten gründet in Menschwerdung, Opfertod und Auferstehung Jesu Christi sowie in der Sendung des Heiligen Geistes und seines Wirkens", heißt es dazu im Katechismus der Neuapostolischen Kirche (KNK 8).

Wie die Katholische und Evangelische Kirche lehrt auch die Neuapostolische Kirche, dass Jesus die Sakramente eingesetzt hat, also ihr Herr und Ursprung ist. Jesu hat nach seiner Auferstehung die Apostel beauftragt, die Sakramente zu spenden. Die Sakramente, das gehört zu den Grundpositionen des neuapostolischen Glaubens, sind notwendig, um in ein neues Gottesverhältnis zu gelangen, das Heil in Christus zu empfangen und zur Brautgemeinde zu gehören.

Heil auf dieser Erde erworben

Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus geschieht innerhalb der Geschichte. Sie findet zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort statt. Sie geschieht zu der Zeit, da "Quirinius Landpfleger in Syrien war" (Lukas 2,2) im heutigen Palästina.

Nicht anders verhält es sich mit dem Tod Jesu, von dem Christen glauben, dass er ein Heilsereignis ist. Jesus ist "gekreuzigt, gestorben und begraben unter Pontius Pilatus", wie es im Apostolikum und im neuapostolischen Glaubensbekenntnis heißt.

Das Heil wurde von Jesus Christus auf dieser Erde geschaffen, doch hat es universale Gültigkeit, betrifft die Schöpfung, nämlich Himmel und Erde (Kolosser 1,20). Deshalb hat man sich in neutestamentlicher Zeit, für Tote taufen lassen (1. Korinther 15,29).

Sakramente spiegeln Wesen Jesu

In gewisser Weise bilden die Sakramente das Wesen Jesu ab:

Der strukturelle Zusammenhang zwischen den Sakramenten und der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wird besonders im Heiligen Abendmahl deutlich. Der Katechismus spricht davon, dass innerhalb des Heiligen Abendmahls "Brot und Wein der menschlichen Natur und Leib und Blut der göttlichen Natur Christi" entsprechen (KNK 8.2.12).

Sakramente vermitteln Heil

Wer also Heil empfangen will, der ist auf den Empfang der Sakramente angewiesen, die jedoch immer einen irdisch-innerweltlichen Aspekt haben. Die Neuapostolische Kirche lehrt: "Wie Jesus Christus sein Opfer auf Erden brachte, so geschieht auch Heilsvermittlung durch die Apostel auf Erden. Da Sakramente stets eine sichtbare Seite haben, können sie auch nur im Bereich des Sichtbaren vollzogen werden. Die Wirkung der Sakramente als wesentliche Elemente der Heilsvermittlung ist für Lebende und Tote gleich" (KNK 9.6.3).

Sammlung unter Lebenden und Toten

Eine wesentliche Aufgabe des Apostolats ist die Sammlung der Brautgemeinde und deren Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi. Die Neuapostolische Kirche ist von der Gewissheit getragen, dass die Brautgemeinde nicht nur unter den Lebenden, sondern ebenso unter den Toten gesucht und gesammelt werden soll.

Damit diese Aufgabe erfüllt werden kann, sieht sie es als notwendig, dass auch den Toten Sakramente gespendet werden. Denn die Wiedergeborenen aus Wasser und Geist, also die Getauften und Versiegelten sowie durch das Heilige Abendmahl Gestärkten, sind gemäß neuapostolischer Lehre zur Brautgemeinde berufen und sollen das Evangelium im Friedensreich verkündigen.

(66): Hier und Dort im guten Dutzend

Sakramente für Entschlafene, ein Merkmal neuapostolischen Glaubens: Klar, dass das in der Sakramente-Serie nicht fehlen darf. 14 Beiträge haben Lehre, Praxis und Geschichte unter die Lupe genommen - zum Abschluss der Überblick.

Für Gott gibt es keine Trennlinie zwischen irdischem und ewigem Leben. So glauben es die Christen, und so berichtet es die Bibel. Und das bekunden auch die Sakramente für Entschlafene in der Neuapostolischen Kirche.

Grundlagen des Glaubens

Grundlage dafür ist der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. Dieser Gedanke findet sich in der Bibel nur in Ansätzen. Erst in nachtestamentlicher Zeit verschmelzen griechische und jüdische Ideen zu einem frühchristlichen Miteinander.

Sakramente für Entschlafene ergeben nur Sinn, wenn sich Menschen im Tod noch ändern können. Gemessen an der Lehre ihrer Kirche glaubt die Mehrheit der Christen an eine Chance im Jenseits.

Und so bekennt nicht nur der neuapostolische Glaube: Sakramente können auch Entschlafenen helfen. Ähnliche lehrt es auch die Katholische Kirche und das orthodoxe Christentum. Das zeigt der Blick über den Tellerrand.

Fundamente der Lehre

Drei Anhaltspunkte findet das Entschlafenenwesen der Neuapostolische Kirche in der Bibel:

Dabei folgt die Lehre zwei Grundgesetzen christlichen Glaubens:

Ordnung der Praxis

Turbulent ging es manchmal zu in den frühen Tagen der Sakramente für Entschlafene. Doch Schritt um Schritt regelte die Neuapostolische Kirche erst die Praxis und klärte dann auch die Theorie. Manche setzen das Entschlafenenwesen mit Spiritismus gleich. Aber das widerspricht der Wissenschaft. Denn die sieht in dem entscheidenden Punkt genau das Gegenteil.

Dreimal im Jahr feiern neuapostolische Christen den Gottesdienst für Entschlafene, der weltweit in allen Gemeinden als Gedenktag für Verstorbene begangen wird. Zwei Amtsträger stellen sich vor den Apostel, der ihnen stellvertretend die Sakramente spendet - in der gleichen Form wie für die Lebenden.

So sachlich das Geschehen wirkt, so emotional nimmt die Gemeinde daran Anteil. Die dargebotenen Lieder und Musikstücke tun ihr Übrigens: Die Gläubigen erleben diese Gottesdienste als etwas Besonderes.

(67): Hinter jedem Satz eine Geschichte

Drei Jahre, 66 Folgen: In der Sakramenten-Serie gibt's viel zu entdecken über Theologie und Historie im Allgemeinen sowie über neuapostolische Spezialitäten im Besonderen. Zum Finale der Gesamtüberblick mit Dutzenden von Links.

Sakramente, das sind die Augenblicke im Glaubensleben, wo sich Himmel und Erde berühren, wo Gottes Liebe Zeichen setzt. Sie folgen einem gemeinsamen Bauplan mit vier Ecksteinen. Seinen Ursprung hat der Begriff Sakrament im biblischen Wort "mysterion".

Das Fundament der christlichen Sakramentenlehre legte Kirchenvater Augustinus im fünften Jahrhundert. Die Frage nach der Wirksamkeit beschäftigte die Gelehrten im späten Mittelalter und in der frühen Reformation. Die Anzahl der Sakramente schwankt je nach Konfession zwischen zwei und sieben. Mehr Ähnlichkeiten kennen indes die Regelungen dazu, wer welches Sakrament spenden darf.

Mit allen Wassern gewaschen

"Taufen" kommt im Griechischen von "tauchen" - mit dem Beiklang von versenken oder ertränken. Die Bibel kennt viele Bedeutungen des Sakraments. Das Verständnis davon haben die Umstände im Laufe der Weltgeschichte immer wieder verschoben.

Über den Ritus der Wassertaufe sagt die Heilige Schrift wenig. So haben sich verschiedene Formen herausgebildet. Auch zur Kindertaufe gibt es unterschiedliche Ansichten. Selbst der Ort des Geschehens ist über die Jahrhunderte umhergewandert.

Jahrhunderte hat es gebraucht, bis die meisten Konfessionen ihre Handlungen gegenseitig anerkannt haben. Auch die Neuapostolische Kirche gehört zu dieser Taufgemeinschaft.

Mit Jesus Christus zu Tisch

Abendmahl, das ist das Sakrament, das immer wieder gefeiert wird. Gestiftet hat es Jesus Christus bei seinem letzten Abendmahl. Doch die Bibel sagt wenig darüber aus, wann und wie genau das stattgefunden hat. Umso vielfältiger sind die Bezeichnungen und Bedeutungen dafür im Neuen Testament.

Weg vom familiären Abendessen, hin zum kirchlichen Gottesdienst: Das ist die Entwicklung in der Antike. Theologisch wird es erst im Mittelalter, als die Realpräsenz Jesu Christi neu erklärt werden muss. Die Reformation liefert weitere Erklärmuster. In der Geschichte der Neuapostolischen Kirche entwickelte sich das Heilige Abendmahl fort - in seinem Stellenwert und bei der Aussonderungsformel.

In der Liturgie gehen die Kirchen eigene Wege. Dazu gehört, wie, wo und wann die Gemeinde sich versammelt, um zu Brot und Wein zu kommen. Unterschiedlich geregelt ist auch, wer das Sakrament spenden oder empfangen darf. Versuche, gemeinsam zu feiern, gab es immer wieder. Doch noch fällt der Sprung über den Kirchenzaun schwer. Immerhin: Jenseits des Sakraments hat das Abendmahl gemeinsame Dimensionen.

Mit der Kraft des Geistes

Wie kommt der Christ zum Heiligen Geist? Durch die Heilige Versiegelung - so lautet die Antwort der Neuapostolischen Kirche. Das ist eine von vielen unterschiedlichen Antworten aus dem christlichen Spektrum. Diese Vielfalt ist schon im Neuen Testament angelegt.

So entwickelt die frühe Kirche ihren mehrteiligen Taufritus. Die Katholiken koppelten ihre Firmung als eigenständiges Sakrament ab. Damit hatten die Reformatoren so ihre Probleme. Die Katholisch-apostolischen Gemeinden führt nach einer Krise die "Handauflegung der Apostel" ein, alternativ auch "Versiegelung" genannt. Die theologische Begründung dafür entfaltete sich erst im Laufe der Zeit.

Das wuchs in der werdenden Neuapostolischen Kirche zu einem identitätsstiftenden Hauptsakrament. Das sorgfältig hergeleitete aktuelle Verständnis legt der Katechismus dar.

Dort wie hier

Sakramente für Entschlafene sind ein Markenzeichen neuapostolischen Glaubens. Grundlage dafür ist die Unsterblichkeit der Seele und die Möglichkeit zur Veränderung im Jenseits. So kommen auch andere Konfessionen zur Überzeugung, dass Sakramente den Toten helfen können.

Drei Anhaltspunkte findet das Entschlafenenwesen der Neuapostolische Kirche in der Bibel: den Willen Gottes, dass allen Menschen geholfen wird, das Motiv vom Abstieg Christi ins Totentenreich und die Vikariatstaufe der Korinther, die später aufgegeben wurde. Die Lehre folgt zwei Grundgesetzen christlichen Glaubens: Gott schafft das Heil im Diesseits und bedient sich dabei des Prinzips "Stellvertretung".

Turbulent ging es manchmal zu in den frühen Tagen der Sakramente für Entschlafene. Doch Schritt um Schritt regelte die Neuapostolische Kirche die Praxis und klärte die Theorie. Mit Spiritismus hat das aber nichts zu tun - ganz im Gegenteil. Dreimal im Jahr feiern die Gemeinden in aller Welt heute den Gottesdienst für Entschlafene.